Am nächsten Tag, es war ein herrlicher und für Moskauer Verhältnisse ungewöhnlich warmer Sommertag, waren wir schon sehr früh unterwegs und schlenderten kreuz und quer durch die Stadt. Mal abwechselnd mit der Metro, wobei uns deutschprachige Russen halfen wegen der kyrillischen Schrift in den Metrostationen, oder auch mal mit dem Taxi, was leichter für uns war.

Heute ist Moskau Hauptstadt eines Landes, das ein Sechstel der Erdober­fläche einnimmt und in seinen Grenzen 270 Millionen Menschen mit hundert verschiedenen Völkern, Sprachen und Nationen beherbergt.

Es ist die größte Industriestadt Russlands und darüber hinaus - je nachdem, von wel­cher Seite der Erdkugel man es be­trachtet - die erste oder zweite Haupt­stadt der Welt. Das ändert jedoch nichts daran, dass Moskau eine graue Stadt war und ist. Die bunten Kremltürme sind noch der einzige Farbklecks im farblosen Häusereinerlei. Graue, ungepflegte Menschensilos, nur hier und da aufgelockert von stalinistischen Zuckerbäckereien wie der Lomonossow- Universität, so prägt sich das Bild der Stadt bei vielen Besuchern ein. Und doch schälen sich aus dem tristen Einerlei langsam die Konturen einer Welthauptstadt der Zukunft.

Wie für fast alle Touristen war auch unser Ziel zunächst mal der Rote Platz und seine Umgebung. Hier herrscht ständig ein buntes Treiben und Sprachengewirr. Der Rote Platz ist einer der ältesten und auf Grund seiner Größe, seiner geschichtlichen Bedeutung und der angrenzenden historischen Bauwerke der international berühmteste Platz in Moskau und einer der bekanntesten der Welt. Er befindet sich im Zentrum der historischen Moskauer Altstadt, vor den östlichen Mauern des Kremls, und gilt mit Gebäuden wie der Basilius-Kathedrale, dem Lenin-Mausoleum und dem Warenhaus GUM als Wahrzeichen der Stadt. Bild unten: Wir vor dem Kaufhaus GUM. Nächstes Bild: Wir im inneren des Kaufhauses.

Das Kaufhaus GUM steht mittlerweile den westlichen Kaufhäusern in nichts nach. Im Gegenteil: Man findet hier eine Auswahl an Waren, wie sie manch westliches Kaufhaus nicht zu bieten hat. Überdies ist das GUM - wenn man so will - das schönste und prächtigste Kaufhaus der Welt.

Wir vor der Basilius Kathedrale

Für die ehemaligen Sowjetbürger ist die Achtmillionenstadt an der in Beton gebändigten Moskwa auch die große Drehscheibe von Westen nach Osten, von Süden nach Norden. Für wenige Rubel können Iwan und Natascha aus dem sibirischen Einöddorf im Urlaub bei Mütterchen Moskau Station machen. Sie kommen täglich zu Tausenden, um den Duft der großen roten Welt zu schnuppern, zum Leninmausoleum auf dem Roten Platz zu pilgern und voll kindlichen Staunens einmal im Leben mit der kostbarsten U-Bahn der Welt zu fahren.

Das Lenin-Mausoleum ist das jüngste Bauwerk am Roten Platz in Moskau. Dort wurde der Leichnam des Revolutionsführers Lenin beigesetzt, der im Jahr 1924 verstarb. Sein Begräbnis war ein von Josef Stalin inszeniertes Staatsereignis. Lenin hatte vor seinem Tod verfügt, dass kein Personenkult um seine Person betrieben werden dürfe. Die Familienangehörigen Lenins, insbesondere seine Frau Nadeschda Krupskaja, wehrten sich gegen seine Einbalsamierung. Stalin setzte sich jedoch durch. Das erste Mausoleum war kleiner als das heutige Bauwerk und bestand aus Eichenholz. Es wurde in nur drei Tagen, vom 21. bis zum 24. Januar 1924, vor der Kremlmauer errichtet. Im Sommer 1924 wurde ein größeres Mausoleum erbaut, das in Form und Größe dem heutigen entsprach, aber noch immer aus Eichenholz bestand.

Dieses Bauwerk beherbergte Lenins Leichnam fünf Jahre lang. 1930 wurde beschlossen, ein neues, steinernes Mausoleum errichten zu lassen, da das bestehende zu verrotten begann. Als Baumaterialien für das heutige Mausoleum wurden feiner Labradorstein und dunkelroter Granit verwendet. Der Architekt aller drei Mausoleen war Alexei Schtschussew. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Mausoleum zum Schutz vor deutschen Luftangriffen mit Holz verkleidet und verhüllt, musste aber nach Kriegsende dennoch restauriert werden. Lenins Leichnam selbst hat den Krieg unversehrt überstanden. Der Sarg wurde 1942 nach Tjumen evakuiert. In einem beleuchteten panzergläsernen Sarg gebettet, liegt Lenin im Mausoleum. Im Sarginneren beträgt die Temperatur sieben Grad Celsius.

Die Kunde von ihren Kristallüstern, ihrem Marmor und goldenen Gemälden ist bis in die letzte kirgisische Jurte gedrungen. Aber auch zu uns, denn auch wir wollten einmal mit der Moskauer Metro fahren. (Bild oben). Die Schlange vor dem Leninmausoleum, dem neuen Dom des Volkes, ist ein faszinierender Querschnitt durch die rote Vielvölkerfamilie. Jakuten stehen neben Usbeken, Kirgisen neben Armeniern, Weißrussen neben Tataren, Mongolen drängen sich hinter Ukrainern. Ab sechs Uhr morgens warten sie Stunden um Stunden, um schließlich in andächtigem Schweigen in die Erde zum einbalsamierten Lenin hinabzusteigen. Nach dem Pflichtbesuch bei Lenin strömen sie zu Tausenden in die Läden und Warenhäuser. Moskau ist der große Supermarkt der Sowjetmenschen. (Heute der der Russen). Ein Supermarkt, der unter westlichen Verhältnissen mit seinem schmalen Angebot allerdings einen schweren Stand haben würde. Der ländlich-einfache Aufzug der Besuchsmoskauer - buntes Kopftuch, Filzstiefel - bestimmt das keineswegs weltstädtische Straßenbild. Aber seit dem Ende des Kalten Krieges hat sich das Bild gewandelt: Moskau muss sich hinter keiner Metropole dieser Welt mehr verstecken.

Tamara und ich an der Puschkin und Engels Statue

Im Laufe der Woche, (die Bilder wurden ja nicht alle an einem Tag augfgenommen), drehte der Wind und es wurde ziemlich kühl, aber es ging noch mit dem Wetter. Wir mussten eben nur etwas festere Kleidung anziehen. Hier befinden wir uns in der Fußängerzone.

Das romantische Moskau Dostojewskijs aber ist unwiederbringlich dahin. Mit ihm verschwanden auch jene zweistöckigen Holzhäuser, mit denen sich die Vorstellung des Moskauer Winters mit Schneehaufen vor der Tür und Eiszapfen am Dach verbindet. Nur der Winter ist der gleiche geblieben. Doch die Stadt hat auch ihn besiegt. Statt der Troika-Schlittenglöckchen von einst hört man nach dem ersten Schneefall in Moskau das Summen unzähliger Schneepflüge. Die Moskauer gehen mit Feuereifer daran, Väterchen Frost den Garaus zu machen. Und doch - wenn die Kremltürme weiße Schneehauben haben, wird Moskau erst so richtig es selbst. Aber auch bei minus 20 Grad sind die Schlangen vor dem Leninmausoleum nicht kürzer als im Sommer.

Bild oben: Schon früh am Morgen des fünften Tages, die Sonne lachte strahlend vom Himmel, brachen Tamara und ich zur weiteren Stadtbesichtigung auf. Wir hatten noch einiges vor heute, um möglichst viel sehen und erleben zu können.

Der Kalinin-Prospekt ist die General­probe für das Moskau von morgen. Für den früheren Stadtsowjet - heute heisst er ja ebenfalls wie im Westen Bürgermeister, hat die Zukunft längst begonnen. Er kann munter drauflosbauen, umständliche Grundstücksenteignungen kennt man hier nicht. Die Glas- und Betonpaläste, die überall in den Himmel wachsen, könnten genausogut am Hudson stehen. Hier und da duckt sich noch ein sorgfältig restauriertes Kirchlein mit Zwiebeldach zwischen die neue Pracht. Man hat Moskaus 100 Kirchen wieder aus der Versenkung hervorgeholt und baut sie ­ sorgfältig restauriert - als Auflockerung in die neue Architektur ein. Denn man kann es sich heute leisten, Rußlands Geschichte in seinen Kirchen wiedererstehen zu lassen.


Der letzte Tag mit Tamara in Moskau. Ja ljublju tebja Tamara.


Ein letzter Bummel mit meiner tschechischen Begleiterin Tamara durch die City, die mir mehr als eine Begleiterin gewesen war. Ach würde man doch vieles im Voraus wissen.


Bild oben: Bevor wir ins Hotel zurückkehrten machten wir noch einen Spaziergang durch den Park, wo wir die vergangenen 3 Wochen noch einmal Revue passieren ließen. Erstaunlich wie diese wunderschöne Frau reagierte und keinerlei Ambitionen hatte. Immer und stets hatte sie ein freundliches Lächeln im Gesicht. Wie schwer mag auch ihr wohl der Abschied fallen?


Die letzte Nacht mit Tamara in Moskau. "Komm' ", sagte sie, mach es nicht so schwer, " es ist eh schon alles so kompliziert. Wir hatten drei schöne Wochen miteinander, die ich nie vergessen werde. Du fliegst Morgen nach Helsinki und ich nach Prag. Vielleicht begegnen wir uns ja noch einmal, denn wie heißt es doch so schön? Man begegnet sich immer zweimal im Leben. Ich werde weiterhin als Reiseleiterin arbeiten und irgendwann, so ich mal Glück habe, werde ich mir ein eigenes Reisebüro leisten."

Apropos Flug: Ich musste unbedingt noch den Flughafen anrufen wegen meines Fluges nach Helsinki. Doch leider, leider hatte ich Pech. Die Maschine war schon völlig ausgebucht und der nächste Flug ging erst in einer Woche. So lange konnte ich natürlich nicht warten, denn auch mein Budget wurde knapp. Also musste ich noch am selben Abend dringend eine Zugfahrt buchen. Mir half nur noch eines: nämlich die Hotelleitung zu bitten, das für mich zu erledigen. "Aber bitte mit einem Schlafabteil, koste es was es wolle". Auch das wurde geregelt und ich schob ein paar extra Rubelchen über den Thresen. Doch was nützt das alles, wenn der Schaffner zwar bescheid wusste, aber die nötigen Rubelchen, oder besser noch Dollar nicht in seinen Händen hält. Das Ticket lag zwar bereit, aber zahlen musste ich ihm schon noch etwas extra.

Dass ich Tamara einmal bei ihrem Traum, ein eigenes Reisebüro besitzen zu können, helfen könnte, daran hatte ich nicht im Traum gedacht. Wir tauschten die Adressen und die Handynummern aus, was sich, wie oben erwähnt, Wochen später für Tamara auszahlen sollte. Ich dankte ihr für alles, insbesondere für ihre wunderbare und angenehme Begleitung und gab ihr einen innigen Kuss. Dann noch ein letztes Frühstück in Moskau, eine letzte herzliche Umarmung und ein inniges Küsschen und sie fuhr tapfer lächelnd und winkend mit dem Taxi an den Flughafen, während ich zum Bahnhof fuhr.

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Mit dem Zug nach Helsinki  
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