Ritter Manfred in seiner Bibliothek.
            
  Parsifals Begegnung mit Ither von Gahawieß.  

Vor der Stadt begegnete ihm ein Ritter, dem er freundlichen Gruß bot. Die Antwort war gleicherweise freundlich: "Gott lohn es Euch, Junkerlein!" Parzival der gerade sein Pferd getränkt hatte betrachtete verwundert den riesigen Mann. Rot war seine Rüstung und er ritt ein edles Roß; auch der Kopfschmuck des Pferdes und die samtene Satteldecke waren von glänzendem Purpur und der Schild rot wie Feuer. Es war Ither von Gahawieß, den man den roten Ritter nannte, König Artus' Vetter. In seiner Faust hielt er einen goldenen Becher, den er von des Königs Tafel genommen hatte. Mit Wohlgefallen blickte er auf den schönen Jüngling. "Wollt Ihr in die Stadt dort", sagte er, "so tut mir den Gefallen, dem König und seinen Mannen eine Botschaft von mir zu überbringen. Ich lebe mit ihm im Streit um mein Erbland." Parzival willigte gern ein. "So sagt dem König Artus und den Rittern seiner Tafelrunde, der rote Ither habe nicht im Sinne, von seinem angestammten Rechte zu lassen. Meldet ihm, daß ich zum Zeichen meiner Besitzrechte den goldenen Becher von der Tafel an mich nahm und daß ich gewillt bin, für meine Rechte mit dem Schwerte einzustehen!" Parzival versprach, die Botschaft treulich zu überbringen.

Es klopfte am Eingang zur Tafelrunde...
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Bei dem Anblick der vielen reichgeschmückten Ritter rief Parzival ganz verwundert: So viele Artusse sehe ich hier! Welcher von ihnen ist denn nun der richtige, der mich zum Ritter schlagen wird? Die Ritter alle lachten über seine Einfalt.Er trabte wohlgemut in die Stadt hinein. Doch sein wunderlicher Aufzug erregte überall Aufsehen; man begleitete ihn mit lauten Spottrufen, daß er sich nur mit Mühe seinen Weg bahnte. "Komm, Junker, ich helfe Euch", stellte sich ihm da freundlich ein Jüngling zur Seite; es war Iwein, ein Knappe von Artus, Hofe, der sich seiner hilfreich annahm und ihn zum Königsschloß geleitete. Bei dem Anblick der vielen reichgeschmückten Ritter rief Parzival ganz verwundert: "So viele Artusse sehe ich hier! Welcher von ihnen ist denn nun der richtige, der mich zum Ritter schlagen wird?" Die Ritter alle lachten über seine Einfalt. Man führte den Jüngling in den Palast, wo die edle Hofgesellschaft, König Artus' berühmte Tafelrunde, versammelt saß. In die frohe Festesstimmung hinein rief Parzival unbekümmert seinen Gruß: "Gott schütze Euch, Ihr edlen Ritter, und besonders Euch, Herr König, mit Eurer hohen Gemahlin!" Und wie immer setzte er treuherzig hinzu: "So hat es mich meine Mutter gelehrt."

Verwundert blickten die Tafelritter zur Tür, denn Artus, ihr König, war bereits anwesend.

Bei dem Anblick der vielen reichgeschmückten Ritter rief Parzival ganz verwundert: So viele Artusse sehe ich hier! Welcher von ihnen ist denn nun der richtige, der mich zum Ritter schlagen wird? Die Ritter alle lachten über seine Einfalt.

König Artus blickte den jungen Menschen, der gekleidet war wie ein Gaukelspieler und gewappnet wie ein Strauchdieb, verwundert an. "Ich überbringe eine Botschaft", rief Parzival: "Ein roter Ritter, Ither mit Namen, läßt dem König Artus seinen Gruß entbieten und ihm vermelden, er warte draußen vor dem Stadttor mit einem goldenen Becher auf den, der ihm sein Erbrecht streitig zu machen bereit sei." Das Lächeln, mit dem die Ritterrunde Parzivals Begrüßungsworte aufgenommen hatte, war ihr schnell vergangen. "Mir scheint wohl" setzte der Junge ruhig hinzu, "er will mit einem von Euch kämpfen. Wie gerne gewänne ich selber die prächtige Rüstung dieses edlen Ritters." Nur unwillig gab der König seine Zustimmung, daß Parzival selber den Kampf mit dem kühnen Herausforderer übernähme. Bekümmert blickte er den Jungen an: "Die Rüstung, die Ihr begehrt, trägt der tapferste Ritter.

Frau Kunneware, des Herzogs Orilus Schwester (hinter der Königin) lachte plötzlich hell auf, als sie den kühnen Junker in dem narrenhaften Gewand vorüberlaufen sah.

Ach, wüßtet Ihr, wie sehr sogar ich selber meinen ungestümen Neffen fürchten muß!" Doch Parzival war zum Kampf entschlossen. Mit dem Sieg erstrebte der unerfahrene Knabe den Besitz der Ritterrüstung und den Ritterschlag aus der Hand des Königs Artus. Alle Ritter der Tafelrunde waren voller Spannung über den Ausgang des Kampfes. Auch die Königin mit ihrem Gefolge begab sich zum Ausgang, um das Schauspiel zu erleben. Unter den Damen war auch die stolze, schöne Frau Kunneware, des Herzogs Orilus Schwester; sie hatte ein Gelübde getan, nie zu lachen, bis sie den Mann erblickte, dem es bestimmt sei, den höchsten Heldenruhm zu erwerben. Als sie den kühnen Junker in dem narrenhaften Gewand vorüberlaufen sah, da lachte sie plötzlich hell auf.

Ungeduldig wartete Ither darauf, dass die anderen Ritter den Platz verließen. Plötzlich erklangen die Fanfaren und Parzival ritt dem Spötter ohne Furcht entgegen und stieg vom Pferd. Ein Knappe hatte ihm ein Kettenhemd besorgt.

Das verdroß Herrn Keye, den Oberhofmeister, so sehr, daß er sie zornig bei ihren langen Flechten packte und ihr mit seinem Stab derb über den Rücken schlug. Erschrocken blickten alle auf den Rohling, der sich so hatte hinreißen lassen, die edle Fürstin zu schlagen. Der junge Parzival war Zeuge der Schmach, die der Dame um seinetwillen widerfuhr. Der Wurfspieß zuckte ihm in der Hand, für die Übeltat sogleich Rache zu üben. Aber um der Königin willen verschob er die Vergeltung auf spätere Zeit. Ungeduldig wartete Ither indessen auf dem Turnierplatz auf seinen Herausforderer, der ihm sein Recht streitig machen wollte. Wie staunte er, als Parzival auf seinem elenden Klepper ihm entgegenritt, derweil die anderen Ritter den Platz verließen.

Der rote Ritter fand natürlich nur Spottworte für Parzivals kecke Heraus-forderung. Parzival ließ sich nicht abweisen und bestand auf seinem kühnen Anspruch. Plötzlich erklangen die Fanfaren und Parzival ritt dem Spötter ohne Furcht entgegen und stieg vom Pferd. Ein Knappe hatte ihm ein Kettenhemd besorgt. Er verlangte Rüstung, Waffen und Pferd des roten Ritters. Als er kühn Herrn Ithers edles Roß beim Zügel packte, stieß dieser zornig den Jungen mit umgekehrtem Lanzenschaft vom Gaule, so daß er rücklings ins Gras fiel. Aber schon stand Parzival auf den Füßen, schleuderte seinen Wurfspieß und traf in des Ritters Eisenhelm so geschickt die Spaltöffnung im Visier, daß die Waffe tief ins Haupt eindrang. Ither sank tot zu Boden. Mit dem jungen Sieger waren alle Zuschauer überrascht über den schnellen Sieg. Ein Knappe half Parzival, den Besiegten zu entwaffnen.

Schnell zog er die prächtige Rüstung des Besiegten über sein sackleinenes Narrengewand, legte die Beinschienen an und schnallte die Sporen fest. Behende schwang sich der Junge auf das edle kastilische Roß seines toten Gegners. "Wie prächtig Ihr erscheint in Eurer Rüstung und auf dem edlen Streitroß, Junker", rief der Helfer entzückt; "nie sah ich ein so schönes Bild eines Ritters!"

So wurde Parzival zum Ritter. Frohgemut und ohne zurückzublicken ritt er in die Welt hinaus. Es drängte ihn, neue Abenteuer zu erleben. Gegen Abend sah der Reiter von ferne die Zinnen einer Burg im Sonnenglanz leuchten. Der Burgherr selber, der Ritter Gurnemanz, saß im Schatten einer Linde auf grünem Anger davor und blickte dem Ankömmling entgegen. Er war im Lande wegen seiner Lebenserfahrung und Altersweisheit und wegen seiner ritterlichen Tugenden geachtet und geehrt. Parzival grüßte ihn nicht nach Ritterart. "So hieß mich meine Mutter tun", sagte er dabei, und er setzte hinzu: "Und sie gebot mir, ein greises Haupt zu achten und die weisen Lehren des Alters anzunehmen. So bitte ich Euch um Euren Rat; ich werde ihm gerne gehorchen."

Bild oben: Gegen Abend sah der Reiter von ferne die Zinnen
einer Burg im Sonnenglanz leuchten.
Bild oben: Dort standen Ritter und Knappen mit reichverzierten Fahnen zu Parzivals Empfang bereit und nötigten ihn, vom Pferde zu steigen.

"Ich will Euch zu Willen sein", erwiderte der Alte freundlich, "sofern Ihr meinen Worten folgen wollt." Damit nahm er seinem Sperber, den er auf der Faust trug, die Kappe von den Augen und warf ihn empor; hell klang die goldene Schelle, als das Tier sich durch die Luft schwang und als Bote zur Burg hinüberflog. Dort standen Ritter und Knappen mit reichverzierten Fahnen zu Parzivals Empfang bereit und nötigten ihn, vom Pferde zu steigen. Aber der einfältige Parzival, dem ritterliche Art ganz fremd war, wollte davon nichts wissen. "Seit König Artus mich zum Ritter machte, muß ich zu Pferde sein und darf nicht absteigen." Erst mit freundlicher Nötigung brachten sie den reisemüden Gast dazu, aus dem Sattel zu steigen und in die Kemenate zu treten. Wie staunten sie, als sie unter dem schweren Panzer die Narrenkleider und die groben Bauernstiefel erblickten!

Mit freundlicher Nachsicht redete Gurnemanz dem unerfahrenen Jüngling dann zu. Parzival, der einfältige Tölpel, der bisher jedes Gebot seiner Mutter in treuherziger Wörtlichkeit aufgefaßt hatte, lernte in den Tagen, da er bei Gurnemanz zu Gaste war, feine Ritterart und gottgefälliges Leben, das den Menschen zum Seelenheil führt. "Die Art, wie Ihr von Eurer Mutter redet", belehrte ihn der Alte, "erhöht nicht Eure Ritterehre. Bewahrt Euch edle Scham! Das ist mein zweites Gebot an Euch. Schamlosigkeit führt den graden Weg zur Hölle. Nach Art und Haltung taugt Ihr wohl zum Ritter. Vergeßt dabei aber nicht das Hauptgebot ritterlicher Pflicht: Habt Erbarmen mit den Bedrängten! - Auch Milde und Güte zu erweisen ist Ritterpflicht! - Bewahrt Euch stets ein demütiges Herz und helft dem schuldlos Verarmten! - Der weise Mann versteht den rechten Mittelweg einzuhalten zwischen Geiz und Verschwendung!"

Bild oben: Im Tjost, dem ritterlichen Zweikampf, mit Herrn Gurnemanz Rittern, durfte Parzival beweisen, wie schnell er die Unterweisung angenommen hatte. Fünf Ritter, die gegen ihn anritten, hob er so leicht aus dem Sattel, daß jeder seine Gelehrigkeit anerkennen mußte und Gurnemanz ihm alles Lob zollte.

Parzival hörte schweigend zu. Wohl erkannte er, daß des Alten Worte aus weiser Erfahrung und aus mitfühlendem Herzen gesprochen wurden, und er war ehrlich bestrebt, die Lehren anzunehmen. "Ich habe bemerkt, daß Ihr Belehrung braucht", fuhr der Alte fort. "So hört mich weiter: Ich rate Euch, laßt das unziemliche Daherreden und haltet Eure Gedanken in Zucht. Fragt nicht zuviel! Und wenn man an Euch Fragen richtet, so antwortet bedächtig und überleget wohl! Im ritterlichen Kampfe sollt Ihr tapfer streiten - und großmütig verzeihen. Dem Gegner, der sich ergibt, gewähret ritterlich Schonung. Und achtet auf alles, was höfische Sitten, Zucht und Anstand gebieten; vergeßt nicht, Euer Äußeres nach ritterlichen Formen zu pflegen, so wie wir es den Frauen schuldig sind! - Ja, ehret und liebet die Frauen! Die edle Minne hütet sich vor allem Falsch; nur sie erhöht und erhebt des Menschen Leben." Parzival dankte dem weisen Alten für seine tiefen Lehren und nahm sich alle ernstlich zu Herzen. Mit großer Freude folgte er nun Gurnemanz Unterweisung im ritterlichen Zweikampf; der Alte erwies sich als ein trefflicher Lehrer in der kunstgerechten Führung der Waffen. Unermüdlich nahm er den Gast mit auf den Turnierplatz und ließ ihn sich mit seinen Leuten fleißig üben. Im Tjost, dem ritterlichen Zweikampf, mit Herrn Gurnemanz Rittern, durfte Parzival beweisen, wie schnell er die Unterweisung angenommen hatte. Fünf Ritter, die gegen ihn anritten, hob er so leicht aus dem Sattel, daß jeder seine Gelehrigkeit anerkennen mußte und Gurnemanz ihm alles Lob zollte.

Aber bald trieb es ihn zu neuen Abenteuern hinaus in die Welt. Gurnemanz hörte mit großer Betrübnis seine Bitte, Abschied nehmen zu dürfen. Mit Tränen in den Augen reichte er dem liebgewordenen Freunde die Hand und sah ihn bekümmert von dannen reiten. Gedankenverloren ritt Parzival seinen Weg. Er fühlte, wie sein Herz von Gefühlen zerrissen war, für die er nicht Namen noch Inhalt wußte. War es, weil er sein kindliches Gemüt abgelegt hatte? In solcher Stimmung ließ er dem Pferd die Zügel und achtete nicht, wohin es ihn durch die pfadlose Einsamkeit führte. Über Berg und Tal ging es, durch unwegsame Gebirgsketten und waldige Einöde, bis ein reißender Fluß den Weg hemmte. Der Abend legte sich schon mit feinem Schleier über die Landschaft, und Parzival folgte dem Laufe des Flusses, bis er im Scheine des Abendrotes am anderen Flußufer eine vieltürmige Stadt auftauchen sah. Es war Belrapeire, die Stadt der Königin Kondwiramur.

Bild oben: Über den Fluß führte eine Brücke aus leichtem Holzwerk, und sechzig Ritter mit aufgebundenen Helmen sicherten sie und wollten dem Fremden den Übergang wehren, denn sie glaubten, er stehe im Bündnis mit Klamide, der die Stadt ihrer Herrin belagerte.

Es war Belrapeire, die Stadt und Burg der Königin Kondwiramur, in welche er eben einritt.

Bild oben: Es war Belrapeire, die Stadt und Burg der Königin Kondwiramur, in welche er eben einritt.

Über den Fluß führte eine Brücke aus leichtem Holzwerk, und sechzig Ritter mit aufgebundenen Helmen sicherten sie und wollten dem Fremden den Übergang wehren, denn sie glaubten, er stehe im Bündnis mit Klamide, der die Stadt ihrer Herrin belagerte. Größte Not herrschte unter den Belagerten. Welches Bild des Jammers bot sich dem Fremden, als er durch die Straßen ritt! Überall erblickte er gewappnete Ritter, aber welches Bild des Jammers boten all die Männer, die zur Verteidigung ihrer Stadt angetreten waren! Schlaff und kraftlos schlichen die Bürger unter der Last ihrer Waffen daher, und die Ritter, die dem Ankömmling entgegentraten, waren bleich und abgezehrt. Ja, in der Stadt herrschte Hungersnot, denn alle Zufuhr war ihr durch das feindliche Belagerungsheer abgeschnitten.

Bild unten: Neue Hoffnung erfüllte die armen Stadtbewohner, als sie den kraftstrotzenden Recken begrüßten, der freiwillig in den Dienst ihrer bedrängten Stadt trat.

Neue Hoffnung erfüllte die armen Stadtbewohner, als sie den kraftstrotzenden Recken begrüßten, der freiwillig in den Dienst ihrer bedrängten Stadt trat. Parzival ließ sich zum Schlosse führen, wo ihn die jungfräuliche Königin Kondwiramur empfing. Aber welches Gefühl ergriff ihn, als er die herrliche Erscheinung sah! Nie zuvor, so meinte er, hatten seine Augen so viel Frauenschönheit erblickt. Lichter Glanz, so schien es ihm, ging von ihr aus. Von zwei Herzögen ihres Landes geleitet, trat sie dem jungen Ritter entgegen, küßte ihn in züchtigem Anstand auf die Stirn und führte ihn in den Saal. War es die Ritterlehre des greisen Gurnemanz, die ihn schweigen ließ, oder nahm ihm Kondwiramurs Schönheit jede Sprache, Parzival redete kein Wort. "Ob ich ihm wohl mißfalle, weil ich so verhungert aussehe?" dachte die Königin befangen.

Bild unten: Parzival nannte seinen Namen und berichtete von seinen Erlebnissen: Heute morgen, Frau Königin, ritt ich von der Burg des edlen Gurnemanz fort, wo ich mehrere Tage als Gast geweilt habe. Mit Staunen hörte Frau Kondwiramur seine Worte: Einen anderen, edler Ritter, würde ich für solche Worte der Lüge zeihen; denn ein jeder meiner Boten, und ritt er auch das schnellste Roß, benötigt für diese Wegstrecke wenigstens zwei volle Tage!

Schließlich brach sie das Schweigen, das lastend werden wollte: "Edler Ritter, als Hausherrin habe ich Euch den Willkommensgruß gegeben. So will ich als Herrin der Stadt auch das erste Wort sprechen. Wie mir eine meiner Frauen berichtet, habt Ihr mir Euren Beistand verheißen. Solches Angebot wurde mir in meiner bedrängten Lage noch niemals gemacht. So sagt mir, wer Ihr seid und von wo Ihr kommt!" Parzival nannte seinen Namen und berichtete von seinen Erlebnissen: "Heute morgen, Frau Königin, ritt ich von der Burg des edlen Gurnemanz fort, wo ich mehrere Tage als Gast geweilt habe." Mit Staunen hörte Frau Kondwiramur seine Worte: "Einen anderen, edler Ritter, würde ich für solche Worte der Lüge zeihen; denn ein jeder meiner Boten, und ritt er auch das schnellste Roß, benötigt für diese Wegstrecke wenigstens zwei volle Tage! Doch sagt, wie geht es meinem lieben Oheim? Ihr müßt nämlich wissen, daß meine Mutter Herrn Gurnemanz, Schwester war. Seid Ihr mit ihm Freund, so sollt Ihr auch mir hoch willkommen sein." Parzival dankte ritterlich für die Aufnahme. Aber zum Nachtmahl wollte er sich nicht einladen lassen. "Der geringen Reste, die Ihr noch besitzt, will ich Euch nicht berauben, Frau Königin", sagte er. "Verteilt es lieber an die armen Leute, die vor Hunger umkommen. Für uns beide wird eine Scheibe Brot genügen." Dankbar folgte die Königin seiner Weisung. Hoffnungsfroh, daß seine Ankunft das Schicksal ihrer bedrängten Stadt wenden würde, teilte sie mit ihm ihren letzten Bissen Brot und ließ ihm sodann im Fremdengemach ein prächtiges Bett herrichten. Schnell war der müde Gast eingeschlafen.

Kondwiramur lag auf ihrem Ruhebett und blickte mit starren Augen in die schwarze Dunkelheit. Die Sorge um ihre Stadt lastete ihr schwer auf der Seele und ließ sie keine Nachtruhe finden. Würde sich die neuerwachte Hoffnung erfüllen, daß Parzival den Belagerern Trotz bieten könnte? Gegen Mitternacht hielt es sie nicht länger auf dem Lager, über ihr seidenes Nachtgewand zog sie einen samtenen Mantel, schritt leise an ihren schlafenden Kammerfrauen vorbei auf Parzivals Kemenate zu und öffnete behutsam die Türe. Ihr Fuß stockte in jungfräulicher Scham, aber dann ging sie entschlossen auf Parzivals Ruhebett zu und kniete schweigend vor ihm nieder. Parzival fuhr erschrocken auf. "Kommt, setzt Euch zu mir!" sagte er dann und hob sie auf. Da nahm sie voll Befangenheit an seiner Seite Platz und berichtete von ihrer bedrängten Lage. Sie wurde nach dem Tode ihres Vaters vom König Klamide zur Frau begehrt, und weil sie sich weigerte, belagerte er nun ihre Stadt und hatte viele ihrer kühnen Ritter erschlagen. "Ach", rief sie voller Verzweiflung, "welche Hoffnung gibt es noch für mich Arme!"

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  Parsival zweiter Teil