Prag - die goldene Stadt in Begleitungmeiner Bekanntschaft und leider nach einer Woche Abreise nach Warschau! Aber gottseidank: Meine Begleitung kam unerwartet mit nach Polen.

Ganz oben: Das Nationalmuseum, wo wir uns nach unserer Verabredung für den nächsten Tag trafen. Ja, sie war eine treue Seele und hielt Wort. Oben: Vor dem Nationalmuseum.

Wenn die Tschechen sich und ihr Land bedroht fühlen, versammeln sie sich unter dem Reiterdenkmal ihres Königs Wenzel, um energisch Protest einzulegen. Wo Worte nichts nützen, fliegen Steine - typische rötliche Prager Pflastersteine. Die Prager schätzen sie, weil man sie so schnell aus der Erde reißen kann. Die letzten, die die Durchschlagskraft des heißen Prager Pflasters kennenlernten, waren die Sowjets. Trotzdem machten sie im August 1968 dem Versuch, den Prager Frühling auf das ganze Jahr auszudehnen, gewaltsam ein Ende. Wer die Tschechen kennt, setzt "einstweilen" dazu. Prag war noch "golden und hunderttürmig", als der eigenartige Stich entstand, der in der Bibliothek des Strahovklosters hängt. Er zeigt eine allegorische Darstellung Europas als vornehme Dame. Spanien ist der Kopf, Italien der Arm, Deutschland, Frankreich und Rußland bilden den Körper, das Herz aber ist Böhmen.

Übrigens: Prag entstand als Gemeinschaftswerk von Deutschen und Böhmen. Wie alle Mischlinge blühte es zu großer Schönheit auf. Als das Kind heranwuchs, stritten sich beide Parteien erbittert darum, zu wem es gehörte. Auf der fünfhundert Jahre alten astronomischen Uhr vor dem Altstädter Rathaus defilieren die Apostel. Zuletzt erscheint der Tod und bimmelt mit dem Glöckchen. Der deutsch-böhmische Zwist hat ihm viel Arbeit gemacht. 1419 wandten Anhänger des Prager Kirchenreformators Jan Hus zum erstenmal eine "altböhmische" Sitte an, indem sie deutsche Patrizier aus den Rathausfenstern stürzten. 200 Jahre später, beim "Prager Fenstersturz" der Habsburger Statthalter, griffen sie darauf zurück. Europa handelte sich damit den Dreißigjährigen Krieg ein. Erst seit dem Zweiten Weltkrieg sind die Tschechen endgültig unter sich.

Bild ganz oben: Tamara und ich am Nachmittag in der belebten Innenstadt von Prag, nachdem wir uns beide umgezogen hatten wegen der verschwitzten Kleidung, denn es war sehr warm an diesem Tag. Unteres Bild: Das war zwar verboten, sich mitten in das Blumenbeet zu stellen - aber wo kein Kläger, da auch kein Richter. Oder sollte man besser sagen: hier galt das 11. Gebot.

Zum Abschied meines Pragbesuchs lud ich Tamara, meine Begleiterin für eine ganze Woche, zu einem wunderschönen Abendessen ein, als Dank für ihre lieben Dienste und die Erklärungen zu den Sehenswürdigkeiten. Etwas traurig war sie schon gewesen, das sah ich ihr an. Eine Belohnung lehnte sie dankend ab, denn wie sie sagte, war es auch für sie ein wunderschönes Erlebnis gewesen. So nahm ich mir ein Herz und fragte sie, ob sie denn nicht mit mir nach Warschau mitkommen wolle, es würde sie nichts kosten. Da war sie ersteinmal perplex und schwieg eine Weile...Aber dann purzelte es aus ihr heraus: "Mister, nachdem ich eh noch eine ganze Weile frei habe, nehme ich ihr Angebot an. Aber nur, wenn ich mich an den Kosten beteiligen darf ". Ich sicherte ihr das zu und nahm mir vor, keinen einzigen Euro von ihr anzunehmen.

Bei diesem Anblick (Bild unten) verstummen plötzlich viele Stimmen. Man schämte sich fast Deutsch zu sprechen. Es ist eine Gedenkstätte für die vielen deportierten Kinder die in Prag während des Zweiten Weltkriegs durch das Nazi-Regime umgekommen sind. Ich blickte betroffen zur Seite, erklärte meiner Begleiterin, dass ich mich als Deutscher schäme. Aber einen kläglichen Rettungsversuch unternahm ich dennoch um meine Ehre zu retten, denn ich wurde erst zwei Jahre vor Kriegsende geboren...

Zusammenfassung meines Pragbesuchs: Zwischen den eisgrauen, mittelalterlichen und barocken Mauern nistet eine eigenartige Atmosphäre. Prag heute ist eine seltsame und höchst einmalige Mischung aus Plüsch, Stuck, offenem Kragen, verschlissenem k. u. k.­Glanz, proletarischer Biederkeit und wehmütigem Charme. Man lebt nicht gerade glänzend im roten Prag, aber man lebt auch nicht schlecht.

Delikatessengeschäfte und Bierwirtschaften florieren. Die Freuden der böhmischen Küche, Prager Schinken, Würste und Mehlspeisen, hat sich Schwejk nicht nehmen lassen. Nur der Altstadt haben die wechselhaften Gezeiten nichts anhaben können. Ihre geheimnisvollen Hinterhöfe, schmalen Treppenflure und Laubengänge liegen im gleichen stimmungsvollen Halbdunkel wie zu Kafkas Zeiten. Nachts, im Schein altmodischer Gasfunzeln, meint man in ihnen unvermutet dem Golem begegnen zu können, jener gespenstischen Roboterfigur, deren Erschaffung, wie die Sage berichtet, dem weisen Prager Rabbi Löw gelang. Der Rabbi zerstörte sein Werk wieder, als es ihm zu gefährlich wurde. Das Grab des Rabbis kann auf dem jüdischen Friedhof zu Prag besichtigt werden. Hier sind die Grabsteine in Schichten übereinander getürmt. Prags Juden rangen einst um jeden Zentimeter Boden. Doch ihre Bescheidenheit nützte ihnen nicht viel. Im einstigen Getto, das in Europas Kulturgeschichte so tiefe Spuren hinterließ, liegt die Pinkassynagoge. Ihre Wände sind mit genau 77279 Namen bedeckt. Viel mehr als diese Namen blieb nicht von Prags jüdischer Gemeinde.


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Flug nach Warschau