Ritter Manfred erzählt:

"Warum kämpft ihr, Christ gegen Christ?", sprach der Bote Gottes.

Die Helden waren durch die Fährmänner übergesetzt worden. Sie hielten zu Rosse einander gegenüber, nahmen gleichen Raum und spornten ihre Hengste zum Rennen. Beim Zusammentreffen stürzte Oliviers Pferd schwer beschädigt nieder; er selbst aber sprang auf und sein erster Schwertstreich fällte Rolands Hengst. Nun begann der Kampf zu Fuß; Oli­viers Schwert brach, Roland verschmähte es, den Wehrlosen zu töten. Mit einer von der Burg gesandten geweihten Waffe setzte der weidliche Degen den Kampf fort. Helme, Schilde und Brünnen wurden zerhauen, der entsetzliche Streit schien nur mit dem Tode des einen oder des anderen Helden beendigt zu werden. Da senkte sich, als der Abend anbrach, eine lichte Wolke herab, die die Recken trennte. Ein Engel trat daraus hervor. "Warum kämpft ihr, Christ gegen Christ? Warum wollt ihr Bruderblut vergießen? Im Namen des Herrn, der am Kreuz starb, reicht euch die Hand zur Versöhnung. Seid einträchtigen Herzens und gerüstet gegen die Widersacher des wahren Glaubens!" Also sprach der Bote Gottes und zog von dannen.

Die streitkühnen Männer, der himmlischen Verkündigung froh, schlugen Hand in Hand und beschwuren den Bund unverbrüchlicher Treue. Sie saßen noch zusammen auf dem umströmten Gelände und sprachen frei von dem, was ihnen am Herzen lag. "Ich glaubte, dich leicht überwinden zu können", sprach Roland, "und dich als meinen Gefangenen zu zwingen, daß du mir deine Schwester, die herrliche Auda, zum trauten Weibe gebest; aber nun komme ich als ein Bittender zu dir, ob du mir gewähren wollest, was mein Herz in Zucht und Ehren begehrt."

"Wie mag das geschehen", sprach Olivier, "da wir streitgerüstet einander gegen überstehen?" "Ob mir auch mein Onkel alle Lehen abspräche", antwortete Roland, "ich tue keinen Schwertstreich mehr gegen Viane und seine Kämpfer." Der Freund gab nun mit einem festen Händedruck die Versicherung, sein Fürsprecher bei der Schwester zu sein, und so schieden sie, jeder um ein Roß ärmer, aber reicher um einen ergebenen Genossen in Not und Tod.

Dergroße Karl ging jagen mit manchem Ritter und Knecht.

Der große Karl ging jagen mit manchem Ritter und Knecht. Seinen Helden, vornehmlich dem kühnen Roland, übertrug er die Hut des Lagers. Er verfolgte einen Achtzehnender, den sein Geschoß verwundet hatte. Sein edles Roß trug ihn weit voraus, so daß nur wenige gut berittene Leute ihm folgen konnten. Da brach Olivier mit einer reisigen Schar aus einem Hinterhalt hervor, streckte mehrere Begleiter Karls nieder und trieb die übrigen in die Flucht, während sein Gefolge den Kaiser angriff. "Nieder mit dem Zwingherrn!" riefen die Reisigen, und von allen Seiten blitzten Speere und Schwerter. Aber Olivier warf sich den wütenden Kriegern entgegen und deckte mit seinem Schild das Reichsoberhaupt. Die tobende Menge ließ nicht ab; der Held wurde selbst verwundet, allein seine gewaltigen Streiche schreckten die wilden Söldner, daß sie in das Dickicht des Waldes zurückwichen. Der Kaiser wollte seinem Verteidiger sein Schwert überreichen, das dieser jedoch nicht annahm. "Da sei Gott vor", sprach er, "daß der Beherrscher des Frankenreichs wehrlos vor mir stehe! Wollte er mir und meinem Onkel Gerhart statt des Schwertes ein Pfand des Friedens gewähren, so würden wir es mit Freuden empfangen." Gerührt durch diesen Edelmut sprach Karl, daß er nicht nur in den Frieden willige, sondern auch den jungen Helden unter seine Paladine aufnehmen und dem abgefallenen Gerhart Verzeihung und ansehnliche Lehen zugestehe. Er folgte darauf vertrauensvoll dem weidlichen Degen in die Burg, wo er mit großen Ehren empfangen wurde. Die Übereinkunft war bald geschlossen, und der Monarch ruhte so sicher unter denen, die noch kurz vorher seine erbitterten Feinde gewesen waren, wie sonst unter dem Schutze seiner Helden und Wachen.

Kaiser Karl nimmt den jungen Helden unter seine Paladine auf.

Am folgenden Tag bewegte sich ein fröhlicher, bunt gemischter Zug nach dem Lager, wo man in schweren Sorgen um den Kaiser war. Derselbe ritt nun frei und heiter, begleitet von allen edlen Herren und Rittern, von reich geschmückten Frauen und Jungfrauen einher und ließ durch Herolde die Märe von dem geschlossenen Frieden verkünden. Große Freude gewährte es ihm auch, als er im Verlauf des Tages die beiden Freunde Roland und Olivier Arm in Arm wandeln sah und von der Werbung des ersteren um die Hand der kriegerischen Auda Kunde erhielt und vernahm, daß sie bereits dem ruhmvollsten Helden der Christenheit ihr Wort gegeben habe. Er ließ die Liebesleute vor sich kommen und sprach, als er die Jungfrau erblickte: "Hei, guter Neffe, wenn ich nicht beweibt wäre, so würde ich selbst um die wonnesame Maid eine Lanze mit dir brechen; aber nun feiern wir morgen mit dem hergestellten Frieden zugleich deine Verlobung. Ihr alle und das gesamte Heer und Burgmannen seid meine Gäste." Der fröhliche Herr ließ sogleich die Vorbereitungen treffen. Ein großes Zelt für Kaiser und Ritter wurde aufgeschlagen, für Speise und Getränke gesorgt und mancher weidliche Spielmann beschieden, mit süßem Sang die Lust des Tages zu erhöhen.

"Hei, guter Neffe, wenn ich nicht beweibt wäre, so würde ich selbst um die wonnesame Maid eine Lanze mit dir brechen; aber nun feiern wir morgen mit dem hergestellten Frieden zugleich deine Verlobung", sprach der Kaiser gutgelaunt.

Die Helden saßen beim festlichen Mahl und leerten emsig die Becher. Da erschienen Boten von den Ufern der Garonne. Sie waren nicht fröhlichen Mutes, wie die Gäste. Sie brachten die traurige Märe, der Mohrenkönig Eigoland aus Afrika sei mit seinen schwarzen Scharen über das Gebirge gestiegen und in die Gascogne eingefallen, wo er mit Feuer und Schwert das Land verwüste. "Das ist eine gute Nachricht", sprach der kühne Roland. "Denn ein Bote Gottes, der meinem Heergesellen und mir Versöhnung und Bund gebot, hat uns auch zum Kampfe gegen die Ungläubigen aufgefordert."

"Das ist eine üble Nachricht", antwortete der Monarch:

"Denn der Mohr ist ein gewaltiger Krieger und führt eine unzählige Menge von schwarzen Teufeln in unser Land. Vernehmt, edle Ritter, was sich vor Jahren begeben hat. Nach dem Tode meines in Gott ruhenden Vaters Pipin vertrieben mich meine Stiefbrüder, die Söhne der falschen Bertha, aus meinem väterlichen Erbe. Ich fand Schutz bei dem Haidenkönig Marsilio in Saragossa. Mit Hilfe des tapferen Diebolt gewann ich nochmals das mir gebührende Recht, wurde in Aachen zum König der Franken und in Rom zum Kaiser gekrönt. Da erschien mir des Nachts der heilige Jakob, der Apostel des Herrn, und befahl mir, sein Grab, wohin alljährlich christliche Pilger wallen, vom Joche der Ungläubigen zu befreien.

Kaiser Karl am Grab des heiligen Jacobus in Galicien.

Anmerkung von MGB: Der Leichnam des Jacobus, der die iberische Halbinsel christianisierte und im Jahr 44 in Jerusalem von Herodes enthauptet wurde,(andere Quellen sprechen davon, dass er in Jerusalem von einer hohen Mauer gestürzt wurde, aber den Sturz überlebte, so dass man ihn zu Tode steinigte) trieb der Sage nach auf einem Floß zurück nach Galicien, wo ihn seine Anhänger auf dem "Sternenfeld" (campus stellae = Compostela) beisetzten. Genau achthundert Jahre später soll der Apostel in der Schlacht von Clavijo hoch zu Roß wiedererschienen sein und beim Sieg über die Mauren geholfen haben. Daraufhin wurde der "Maurentöter" zum Schutzheiligen der "Reconquista" - der Rückeroberung der iberischen Halbinsel von den Moslems - und zum Symbol des christlichen Spanien. Die Gläubigen strömten aus ganz Europa zu seinem Grab und finanzierten mit Ablaßgeldern den Bau einer Metropole mit Kirchen und Klöstern. Mehrere Pilgerwege - vier von Frankreich aus über die Pyrenäen, zwei aus Südspanien und einer aus Portugal - entstanden, gesäumt von Kirchen mit dem Insignium der Schell-Muschel, das an die Floßfahrt erinnert. Briten und Dänen kamen vom 11. Jahrhundert an mit Schiffen über den Atlantik. Denn einem päpstlichen Dekret aus dem 13. Jahrhundert nach führt eine Pilgerschaft nach Santiago zur Vergebung der Sünden. Heute gilt: Wer 100 Kilometer zu Fuß oder 200 Kilometer per Fahrrand oder Maultier zurücklegt, erhält die offizielle Pilgerbescheinigung vom Erzbischof Santiagos. Dafür müssen im Pilgerausweis die Stempel von Herbergen oder Pfarreien auf dem Weg nachgewiesen werden, oder das handgeschriebene Tagebuch mit Zertifikaten von Dorfbürgermeistern).

Mit Heeresmacht überstieg ich das Hochgebirge, und focht mit meinen streitkühnen Franken manchen Sieg, so daß sich alles Land bis nach Galizien, wo das Grab des Apostels errichtet ist, ohne weiteren Widerstand unterwarf. Da teilte man mir mit, daß Eigoland aus Afrika gekommen und bereits bis Pampeluna vorgerückt sei. Ich kehrte um und es kam am Flusse Cera zu einer mörderischen Schlacht. Die Afrikaner fochten wie ihre Brüder, die höllischen Teufel. Sie durchbrachen wütend unsere Reihen, und die Niederlage schien gewiß. Da warf sich der kühne Held Milo, mein Schwiegervater und dein Vater, Neffe Roland, den Höllengenossen entgegen. Er und seine Mannen hemmten die bisher siegreichen Feinde und richteten eine große Niederlage unter ihnen an. Er verfolgte aber die Flüchtlinge zu weit und sank, von Geschossen durchbohrt, nieder, ehe der Sieg entschieden war. Der Verlust war beiderseits so groß, daß Freund wie Feind den Rückzug antrat. Eigoland ging damals in die Wüsten Afrikas zurück, aber er ist, so scheint es, mit größerer Macht wiedergekehrt und in unser eigenes Land eingefallen"