Oben: Das vergiftete Getränk
Tristan und Isolde noch traut vereint
Tristan und Isolde noch traut vereint

Eines Tages, während der Überfahrt, saß Tristan in Isoldes Schiffsgemach und erzählte ihr von König Marke und dem Hof zu Tintajol. Da geschah es, daß Tristan nach einem Trunk begehrte, und da Brangäne nicht im Gemache anwesend war, bot eine Dienerin ihm das Gefäß mit dem Liebestrank, den sie für Wein hielt. Tristan reichte den Becher in ritterlicher Weise zuerst der Königstochter, die zaudernd trank, dann genoß auch Tristan davon. Als Brangäne dazukam und den Becher geleert fand, brach sie in bittere Klagen aus. Was half es, daß sie das Gefäß ergriff und ins Meer schleuderte! Schon spürten Tristan und Isolde die Wirkung des Zaubers, und beide fühlten, daß sie zusammen nur ein Herz besäßen, und wagten doch aus Scham und Zweifel nicht, sich die seltsame Wandlung einzugestehen.

Bilder oben:Tristan reichte den Becher in ritterlicher Weise zuerst der
Königstochter, die zaudernd trank, dann genoß auch Tristan davon.

Wohl versuchte Tristan, den schweren Kampf zu bestehen, um der Treue, der Pflicht und der Ehre zu genügen, aber die Liebe zu Isolde brannte heiß in seinem Herzen. Blickte er ihr in die Augen, so waren alle festen Vorsätze dahin. Nicht anders erging es Isolde. Auch sie lag in Liebesbanden. Bald vermochte sie an nichts anderes mehr zu denken als an Tristan. In dem quälenden Widerstreit zwischen Verlangen und Pflichtgefühl siegte die Liebe, und noch ehe Isolde in Markes Land kam, hatte sie dem zukünftigen Gatten die Treue gebrochen. Brangäne erzählte den beiden von dem Zaubertrank und versprach ihnen ihre Hilfe und Verschwiegenheit.

Bild oben:Das Schiff nähert sich der Küste.
Nur noch einen Bogen und man konnte am Burghafen anlegen,
wo die Gäste schon erwartet wurden.

Als das Schiff sich der Küste näherte, sandte Tristan Boten nach Tintajol, und mit großem Gepränge ließ König Marke seine junge Braut in die Stadt geleiten. Gar bald vermählte er sich mit ihr. Doch der Zauber, dem Tristan und Isolde auf dem Schiffe verfallen waren, erlosch nicht. Nie wieder konnten die Liebenden voneinander lassen, und immer wieder mußte Isolde König Marke die Treue brechen. Keinen andern Gedanken hegten die Liebenden als den, wie sie hämischem Argwohn entgehen und Isoldes Gatten täuschen konnten.

Zunächst gelang es ihnen mit Brangänes Hilfe, doch dann schöpfte Marke Verdacht. Marjodo, der Truchseß, hatte das Liebespaar einmal überrascht. Der ging zu König Marke und verdächtigte die beiden Liebenden. "Es geht um deine Ehre", sagte der Truchseß, den die Eifersucht um Isolde, die Blonde, verzehrte, und Marke ließ sich, von Argwohn gequält, überreden, seinem Weibe eine Falle zu stellen. Die wachsame Brangäne war jedoch Marjodos Treiben auf die Spur gekommen und warnte ihre Herrin. Deshalb zeigte sich Isolde, als König Marke ihr plötzlich ankündigte, daß er sie einer Pilgerfahrt wegen für lange Zeit verlassen müsse, tief bekümmert. Der König, der ihr Tristans Gesellschaft während seiner Abwesenheit empfahl, fühlte sich von Argwohn und Eifersucht befreit, als sein Weib Abscheu gegen Tristan heuchelte, und in seinem Herzen bat Marke der blonden Isolde das Unrecht ab, das er ihr mit seinem Verdacht angetan zu haben meinte.

Bild oben: König Marke bittet in seinem Herzen Isolde
vor seiner Abreise zu einer Pilgerfahrt um Vergebung.

Marjodo, dem Truchseß, hielt er triumphierend die Treue seines Weibes vor. Der aber ließ sich nicht täuschen und erbot sich mit spöttischem Lächeln, die Liebenden zu überlisten. Marke sollte Tristan von der Königin trennen und über Land schicken; dann werde er sehen, was geschähe. Blutenden Herzens befolgte Marke den Rat des Truchseß. Da litten Tristan und Isolde die brennenden Qualen der Trennung und Sehnsucht. Brangäne aber ersann eine kluge List, wie sie ihrer Herrin und Tristan helfen könnte. Durch den Garten von Tintajol floß ein klarer Bach, darüber hatte man einen Turm gebaut, in dem jetzt Isolde zu ihrer Erholung auf Brangänes Rat Wohnung nahm. Da ließ Tristan Rindenstücke den Bach hinabtreiben, an denen Isolde erkennen konnte, bei welchen Bäumen des Gartens sie der Geliebte zur Nacht erwartete, bei den Pinien, im Ulmenhain oder bei den Eichen.

Bild oben: Isolde wartet am Bach ob Rindenstücke daherschwimmen,
ein Zeichen dafür, dass Tristan kommen wird.
Bild oben: Tristan auf dem Weg zur Geliebten.

So trafen sich die Liebenden jede Nacht im Garten der Burg. Der böse Zwerg Melot, den Marjodo beauftragt hatte, Tristans Weg zu verfolgen, konnte sich jedoch wie ein Eichhörnchen von Ast zu Ast schwingen und entdeckte das Geheimnis der Rindenstücke und offenbarte es König Marke. Da sahen sich die Liebenden im Ulmenhain zu mitternächtiger Stunde plötzlich von den Mannen König Markes umstellt, und das Geheimnis ihrer Liebe wurde enthüllt.

Die Liebenden trafen sich zur mitternächtigen Stunde im Ulmenhain.
Plötzlich sahen sie sich von den Mannen König Markes umstellt,
und das Geheimnis ihrer Liebe wurde enthüllt.

Das erbitterte Volk und alle Barone des Landes forderten ein Gottesgericht, wie es auf einer Insel im Meer stattzufinden pflegte. Dort sollte Isolde ihre Unschuld erweisen. Heimlich gab Isolde durch die treue Brangäne ihrem Geliebten Nachricht. Als die Königin in ihrem Schifflein nahe der Insel landete und von Rittern ans Ufer getragen werden sollte, lehnte sie es ab, sich von ihnen, die sie so hart beschuldigten, berühren zu lassen. Am Ufer stand, in seine Kutte gehüllt, ein fremder Pilger. Der wurde herbeigerufen, und man befahl ihm, die Königin durch das seichte Wasser an den Strand zu tragen. Der Fremde folgte willig der Aufforderung, nahm die schöne Isolde in seine Arme und trug sie durch das Wasser an Land. Isolde, die in dem Pilgersmann längst den Geliebten erkannt hatte, raunte ihm ins Ohr, er solle am Ufer straucheln, so daß sie beide zu Fall kämen. Das geschah, und so lag die schöne Königin für einen Augenblick an der Seite des Pilgers in seinen Armen. Die Ritter wollten den Pilgrim für seine Unachtsamkeit mit Ruten züchtigen; doch die Königin bat für ihn um Gnade. Da ließen sie von ihm ab.

Bild oben: Isolde wurde befohlen, die Hand auf das glühende Eisen zu legen,
und siehe, ihre Haut blieb unverbrannt.

Als man Isolde auf dem Gerichtstag zwang, ihre Unschuld zu beschwören, bekräftigte sie mit einem Eid, daß sie nie in eines anderen Mannes Armen gelegen habe als in denen ihres Gemahls und des Pilgers, der sie an Land getragen habe. Darauf wurde ihr befohlen, die Hand auf das glühende Eisen zu legen, und siehe, ihre Haut blieb unverbrannt. So war die Wahrheit von Isoldes Worten vor aller Augen bewiesen, und König Marke nahm sein Weib wieder in Gnaden auf.

Auf der Burg sah Tristan auch Kaedins schöne Schwester, Isolde mit den weißen Händen. Da trat das Bild der fernen Geliebten ihm so lebendig vor die Seele, daß er sich um des gleichen Namens willen mit Isolde Weißhand vermählte, aber seine Sehnsucht nach der blonden Isolde wurde nicht gestillt. Tristan begleitete von nun an seinen Schwager Kaedin auf dessen Kriegszügen. Eines Tages weilten sie auf einer Burg und mißbrauchten in der Abwesenheit des Ritters das Gastrecht, weil Kaedin sich um die Liebe der Burgherrin bewarb. Der Ritter, der sich betrogen fühlte, verfolgte sie nach seiner Rückkehr, stellte sie zum Kampfe und rannte Kaedin den Speer in den Leib, daß er tot vom Pferde sank. Dafür erschlug ihn Tristan. Aber die Übermacht der Feinde war zu groß, und Tristan erhielt eine schwere Wunde, so daß er nur mit Mühe den Verfolgern entkam.

Isolde Weißhand pflegte den sehr Wunden, der mit dem Tode rang. Kein Arzt und keine Arzenei vermochten ihm zu helfen. Da sandte Tristan einen getreuen Boten an König Markes Hof und ließ die blonde Isolde bitten, seine Todesnot zu lindern. Der Bote brachte die traurige Kunde nach Tintajol; Isolde zögerte keinen Augenblick und bestieg sofort das Schiff. Indessen wurde der todwunde Tristan von Isolde Weißhand gepflegt. Sie grämte sich, daß Tristan die blonde Isolde rufen ließ, und oft mußte sie auf Tristans Bitte ans Fenster treten, um nach dem weißen Segel, das Isoldes Ankunft künden sollte, Ausschau zu halten. Als sie das Schiff endlich kommen sah und das weiße Segel in der Sonne glänzte, verkündete sie es Tristan; aber von dem Segel sagte sie nichts. "Liebe Isolde, sage an, wie ist das Segel?" fragte Tristan. Isolde Weißhand sprach in dieser Not nicht die Wahrheit und antwortete: "Ein schwarzes Segel sah ich." Da brach der Tod Tristan das Herz. Vergebens beteuerte Isolde Weißhand in ihrem Schmerz, daß sie nicht wahr gesprochen habe. Tristan lag tot und hörte sie nicht mehr. Als Isolde, die Blonde, und ihre Begleiter ans Ufer gelangt waren, vernahmen sie große Klage in der Stadt und erfuhren den Grund.

Da stand die schöne Isolde stumm vor Schmerz und sank ohnmächtig nieder. Tristans Tod hatte auch ihr die Lebenskraft genommen. Als sie wieder zu sich kam, hatte sie nur den Wunsch, den Toten zu sehen. So gingen sie alle ins Münster, wo Tristan im Sarg lag.

Bild oben: Isolde ließ den Sarg öffnen
und küßte ein letzesmal das Antlitz ihres Geliebten.

Sie ließ den Sarg öffnen, nahm das Tuch von seinem Antlitz, warf sich nieder und küßte es. So lag sie Mund an Mund mit dem toten Tristan; da brach auch ihr das Herz, und sie starb den Minnetod. Inzwischen aber hatte König Marke den Tod der Liebenden erfahren und war zu Schiff nach Burg Karke gekommen. Er ließ die Körper der Liebenden einbalsamieren und in Särge legen, und Isolde Weißhands Vater, Herzog Jovelin, dachte den zweien ein würdiges Begräbnis zu geben. Als König Marke von der treuen Brangäne vernommen hatte, wie alles geschehen war, von dem Trank der Minne, der die Herzen bezaubert hatte, daß sie nicht mehr voneinander lassen konnten, da brach er in laute Klage aus und rief: "O weh, Tristan, hättest du von Anfang an alles bekannt, ich hätte dir Isolde zur Frau gegeben. So wäre ich rein von Sündenschuld geblieben, und ihr wäret gerettet." Marke führte die Leichen auf seinem Schiff mit sich nach Tintajol. Dort lag das ganze Land in Trauer. Der König ließ zwei marmorne Särge anfertigen und die Toten darein legen. Im Burggarten von Tintajol wurden sie begraben. König Marke gab sein Reich einem seiner Barone und ging ins Kloster. Er hatte aber auf Tristans Grab einen Rosenstock pflanzen lassen und auf Isoldes eine Weinrebe. Als Rebe und Rose wuchsen, neigte sich über den Gräbern jeder Zweig dem andern zu, und dicht ineinander verflochten und verwachsen waren Rose und Rebe.

Bild oben: Isoldes und Tristans Grab.