Malta - das wird jeder zugeben, den es zum ersten Mal auf diese 316 Quadratkilometer Land im Herzen des Mittelmeeres verschlägt - ist keine Liebe auf den ersten Blick. Man hat den Absatz noch nicht richtig drin, da schaut die Schuhspitze schon wieder heraus. Keine langen Sandstrände, nur unwirtlicher Fels, der meist steil in das dunkelblaue Meer abfällt. Dazwischen dichtgedrängt Städte, ein paar verschlafene Dörfer, aus denen pompöse Kirchtürme über die Dächer emporragen, und eine Handvoll Felder.

Vor rund 400 Jahren gab sich Malta nicht viel einladender. So schrieb die Johanniterkommission, die im Auftrag ihres Ordens im Jahre 1524 nach Malta kam, um die Insel als zukünftige Bastion der Kreuzritter zu erkunden, an ihre Glaubensbrüder: Die Insel Malta ist ein Felsen aus weichem Sandstein, ungefähr sechs oder sieben Meilen lang und drei oder vier Meilen breit; der Felsboden ist von kaum mehr als drei oder vier Fuß Erdreich bedeckt. Auch dieses ist steinig und äußerst ungeeignet zum Getreideanbau. Bis auf ein paar Quellen im Landesinneren gibt es kein fließendes Wasser, nicht einmal Brunnen. Mit einem Wort, der Aufenthalt auf Malta scheint äußerst unangenehm, ja geradezu unerträglich zu sein, besonders im Sommer.

Nun, die Johanniter-Ritter kamen trotzdem nach Malta. Sie haben es aber nicht bereut, denn die Insel wurde immerhin für mehr als 270 Jahre ihre Heimat. Eine Heimat, die sie im Jahre 1565 sogar in einer historischen Belagerung mit viel Glück, mit Leid, Blut und Vernichtung gegen die "ungläubigen Türken" verteidigten. Die Ritter waren nicht die ersten, die Malta für sich in Beschlag nahmen. Römer, Byzantiner, Araber, Normannen, Kastilier - die Liste der fremden Herrscher liest sich wie ein "Who's who" der Weltgeschichte. Die Malteser haben es mit einer geradezu stoischen Gelassenheit hingenommen, dass ihre Insel als strategisch wichtiger Punkt im Herzen des Mittelmeeres ständig unter der Regie fremder Mächte stand. Dass sie sich dennoch eine eigenständige Kultur, vor allem ihre eigene Sprache, erhalten konnten, spricht für die Überlebenskunst der Malteser. "Leben und leben lassen" war ein Nenner, auf den man sich mit beinah allen Besatzern einigen konnte. Beinah allen?

Nur als die Johanniter ihre Bastionen 1798 kampflos den Truppen Napoleons übergeben mussten und die französischen Soldaten anschliessend plündernd durch das Inselinnere zogen, wurde es den Maltesern zum ersten Mal in ihrer Geschichte dann doch zuviel. Kein Wunder also, dass die nächste fremde Macht auf Malta mit offenen Armen empfangen wurde. Mit den Briten kehrte zwei Jahre nach Napoleon ein neuer Wind in Vallettas Regierungsstuben ein. Die Inselbewohner lernten schnell ihre neuen Besatzer schätzen - und den britischen way of life.

Seitdem gehören Schuluniformen, der Linksverkehr und die englische Sprache auf Malta zum Alltagsbild - bis heute. (Apropos Linksverkehr: Vor Napoleons Zeiten ging alle Welt links und fuhr auch links. Napoleon hat das Rechtslaufen eingeführt und somit auch das Rechtsfahren. Mit dieser Strategie wollte er den Feind in die Irre führen, was ihm auch bis zu seiner Niederlage in Waterloo gelungen war. Trotz Napoleon als Kaiser abgesetzt wurde - den Rechtsverkehr hat man bis heute beibehalten - ausser im britischen Empire, da Napoleon England nicht erobert hatte. Einzig und allein den Römern war es gelungen England zu besetzen). Doch fahren wir fort:

Daran hat auch Dominic Mintoff, Maltas wohl bekanntester Premierminister, nichts ändern können. Nachdem er 1971 den obersten Posten in der maltesischen Politik übernommen hatte, lenkte er die 1964 in die Unabhängigkeit entlassene Insel zunehmend auf Isolationskurs. Freundschaftsabkommen mit Libyen, der PLO, Nordkorea und China sowie die Kündigung des Truppenstationierungsvertrages mit Großbritannien drängten Malta auf die andere Seite der weltpolitischen Fronten. Im Jahre 1984 trat Mintoff nach zunehmender Kritik aus den eigenen Reihen zurück. Seitdem flirtet Malta immer heftiger mit der Dame Europa.

Es schien damals nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der kleine Inselstaat einen weiteren Stern auf der blauen EU-Flagge darstellen wird. Heute ist er es bereits. Anfang 1995 hat Malta dafür sogar von einem auf den anderen Tag die Mehrwertsteuer eingeführt. Die Klagen der Bevölkerung über den ebenso plötzlichen wie drastischen Preisanstieg hielten sich in Grenzen. Denn man weiss, dass Malta von der EU ungemein profitieren kann, während man selbst nicht viel zu bieten hat. Zu den wenigen Industriebranchen, die über Maltas Küsten hinaus Weltruf geniessen, gehören die Docks und Werften im Grand Harbour.

Die Docks haben im Zweiten Weltkrieg traurige Berühmtheit erlangt. Die deutsche und italienische Luftwaffe flogen zwischen 1940 und 1942 beinah pausenlos Luftangriffe auf den damals immer noch strategisch wichtigen Hafen. Rund 80 Prozent der Altstadt von Valletta wurden dabei zerstört, Tausende von Menschen starben. So wiederholte sich rund 400 Jahre nach der Belagerung durch die Türken ein Stück Geschichte: Das Unglück für Valletta, diese jahrhundertelang uneinnehmbare Festung mit ihren himmelhohen, dicken Mauem, kam jedoch dieses Mal nicht von See, sondern aus der Luft. Darauf waren die alten, trutzigen Barrikaden nicht vorbereitet.

Die Festung Malta wankte bedrohlich, aber sie fiel nicht. Die Alliierten hielten Malta und starteten später von hier aus ihre Invasion Richtung Sizilien. Für ihre große Tapferkeit und ihren Durchhaltewillen bekamen die Malteser 1943 von König Georg VI. das George Cross verliehen. Wie stolz die Malteser auf diese Auszeichnung sind, beweist auch die Tatsache, dass sie das George Cross sogar in ihrer rot-weissen Staatsflagge führen (und nicht das Malteser-Kreuz, wie viele Touristen immer wieder annehmen). Rund 50 Jahre später, im Mai 1995, feierte Malta das Ende des Zweiten Weltkrieges. Natürlich mit den alten Freunden. Der britische Flugzeugträger "HMS Illustrios" läuft, begleitet von Salutschüssen, in den Grand Harbour von Valletta ein.

Am Geländer der Upper Barracca Gardens stehen Schulter an Schulter alte Kriegsveteranen und junge Malteser und beobachten, wie der Schiffskoloss langsam an die Kaimauer manövriert. Eine maltesische Kapelle intoniert schmissig "God save the Queen". (Neuerdings gilt auch eine andere Hymne: "God save the EU"). Nur der Euro wird auch dort verflucht - genau wie in Deutschland und in den anderen Staaten, denen man ihn aufgezwungen hat. Eifrig klicken die Kameras der Touristen, die zwischen den Insulanern das Spektakel verfolgen.

Die Gäste in Bermudashorts und Badelatschen, die heute durch Vallettas Altstadtgassen schlendern, kommen vornehmlich aus dem verregneten Deutschland oder aus dem nebligen England. Sie sind mittlerweile zu Maltas wichtigster Einnahmequelle geworden. Der Tourismus auf den "Heiligen Inseln" - so Maltas eigener Werbeslogan - boomt. Tendenz steigend. In Maltas Tourismusprogramm werden Kultur und Bildung jedoch von jeher grösser geschrieben als Sonne und Meer.

Wer sich nicht für die faszinierenden Steintempel der alten Megalithkultur interessiert, der paukt in Sliema und Umgebung englische Vokabeln und Grammatik. Denn es gibt in Europa keinen sonnigeren Ort, um das learning by doing der englischen Sprache angenehmer zu praktizieren. Wasser, das verschlafene Gozo, die bunten Fischerboote in Marsaxlokk, die gastfreundlichen Malteser, die berauschenden Festas und die sagenumwobenen Steintempel. Insgesamt 25 Sprachschulen unterrichten auf Malta jedes Jahr über 30 000 Schüler zwischen sechzehn und sechzig. Die meisten der Sprachschüler sind " Wiederholungstäter": Sie kommen wieder. Denn sie haben Malta liebengelernt: die Strassenschluchten Vallettas mit ihren pittoresken hölzernen Erkern, die "Stille Stadt" Mdina, die einsamen Felsbuchten mit türkisgrünem Wasser, das verschlafene Gozo, die bunten Fischerboote in Marsaxlokk, die gastfreundlichen Malteser, die berauschenden Festas und die sagenumwobenen Steintempel. Auch wir badeten ein letztes Mal im Wasser der blauen Lagune und verabschiedeten uns am nächsten Tag von Malta in Richtung Monaco.

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Reise nach Monaco