Sogar weitgereiste und gebildete Leute machen den Fehler, Genf oder Zürich als Hauptstadt der Schweiz zu bezeichnen. Bern, dem diese Ehre gebührt, ist nicht ganz unschuldig daran. In der malerisch auf einem Felssporn über der Aare gelegenen Stadt steht eine bürgerliche Tugend noch hoch im Kurs: Bescheidenheit.

Im Berner Hauptbahnhof bei unserer Ankunft. Viele Souvenirs und 3 Koffer hatten wir schon nach Finnland geschickt, denn unsere Europareise ging ab Bern zu Ende. Wer glaubt, dass unser Trip durch Europa Flitterwochen waren, der irrt. Sicher, wir hatten viel gesehen, hatten auch mal Zeit mal auszuspannen und sich privat zu vergnügen, aber es war doch eine Marathontour. Dazu die vielen Souvenirs, die Jeanette unterwegs gekauft hatte. Natürlich keinen Krempel, wie man so schön sagt, sondern wertvolle Stücke und sie alle mussten verzollt werden und nach Helsinki geschickt werden.

In unserer Hotelsuite
In der Kramgasse von Bern.

Wie oben erwähnt: Bern ist die Hauptstadt der Schweiz. Es ist eine mittelalterliche Stadt. Zwischen dem 12. und 18. Jahrhundert erbaut. Es hat heute noch dieselben alten Gassen, Arkaden, Brunnen, Keller und Türme. Sehenswert sind u.a. das gotische Rathaus, das spätgotische Münster, der Zeitglockenturm, der Rosengarten mit schönem Blick auf die Altstadt und der Bärengraben. Das Wahrzeichen Berns ist eben ein Bär.

In der Berner Marktgasse.

Die Berner waren schon immer wer. Sie machten nur nicht viel draus. So unterließen sie es bis heute auch, sich der Welt als europäische Hauptstadt vorzustellen. Hauptstadt - das wäre ohnehin nicht korrekt. Die Schweiz hat gar keine. Niemand würde deshalb aber auf die Idee kommen, sie nicht für einen souveränen Staat zu halten. Bern ist die Hauptstadt des Kantons Bern und außerdem Sitz der Bundesbehörden von allen sechs Kantonen. Bern - schon der Name klingt solide. Zugereisten erscheint die Stadt als Inbegriff helvetischer Vorzüge: sauber, ehrbar, anständig. Alles höchst passende Eigenschaften für den Sitz ihrer Bundesregierung, fanden die 22 schweizer Kantone, als sie 1848 gemeinsame Sache machten. Alle, wählten damals vor dem munteren Zürich und dem malerischen Luzern das biedere Bern zur geschäftsführenden Stadt.

Jeanette und ich am Berner Stadttheater.

Der Schweizer Dichter Jeremias Gotthelf war entsetzt über die Beförderung des alten Berns. Er hatte Angst, die kleinstädtische Biedermeridylle könnte sich in großstädtische Hektik auflösen. Der große Mann irrte. Bern bewahrte sein traditionsreiches Stadtbild. Andere Metropolen wachsen ehrgeizig in den Himmel. Die Bundeshauptstadt der Schweiz kennt nur einen Ehrgeiz: sich und seiner Vergangenheit treu zu bleiben.

Links das Cafe du Commerce.

Die Aare hält sich so gern in Bern auf, dass sie die Stadt nicht einmal wie ein gewöhnlicher Fluß durchfließt. Nein, sie macht mitten in der Stadt einen sanften Bogen und läuft dann gemächlich zurück. Von der Altstadt im Aaretal, die "währschaft" auf einen Felsensporn gebaut ist, strecken zahlreiche kühn gespannte Hochbrücken ihre Bogen in die weiten gartenreichen Außenbezirke.

Die Aareschlaufe in Bern
Immer wieder ein Anziehungspunkt: Die Marktgasse.

Unterhalb der Altstadt, in die Flußschleife, schmiegt sich die "Matte" mit alten, langsam verfallenden Häusern, mit Höfen und Gassen voller Wäscheleinen. Frauen sitzen schwatzend auf Holzbänken. Was sie miteinander reden, versteht kein Mensch. Es ist Mattenenglisch, ein seltsamer uralter Dialekt, der nur von den Bewohnern der Matte gesprochen und verstanden wird. Die malerischen "Gässli" und "Sträßli" der Altstadt sehen noch genauso aus wie in den Tagen der "gnädigen Herren von Bern".

In Bern kann man auch singen: Über sieben Brücken musst Du geh'n...

Den Renaissance- und Barockfassaden der schlichten Bürgerhäuser sieht man nicht an, welch solider Reichtum sich dahinter verbirgt. In ihnen leben die Nachkommen jener klugen "Bürger von Bern", die ihre Stadt bis in die Neuzeit so listig regierten, dass sie von Moskau bis Konstantinopel höchstes Ansehen genießt. Die Berner sind bedächtige Leute, deftig wie ihr Nationalgericht, die Berner Platte. Sie sprechen einen alemannischen Dialekt, bei dem man es mit der Angst bekommt, ob sie je einen Satz zu Ende bringen. Für ihre Miteidgenossen sind sie eine Quelle ständiger Heiterkeit. Man sagt, sie hätten viel mit dem Bären, ihrem Wappentier, gemeinsam. Keine fröhliche Schweizer Runde, in der nicht ein Witz über den langsamen Berner "Muzz" zum besten gegeben wird.

Am Bundeshaus und am Bundesplatz.

Diese romantischen, mittelalterlichen Gassen, ungefähr sechs Kilometer lang mit Arkaden, also Lauben - sind wahrscheinlich die längsten überdeckten Einkaufspromenaden der Welt. Sie laden zum Flanieren, zum Einkaufen, zum Essen, Geniessen und Staunen ein. Der große Dichter Goethe, der u.a. auch Bern auf seinen vielen Reisen besuchte, meinte einmal über die Stadt: "Sie sei die Schönste, die er gesehen habe".

Spaziergang durch die Laubengasse

Der Stolz der Stadt aber sind die "Lauben". Fußgänger können unter den romantischen Arkadengängen auch bei schlechtem Wetter die ganze Stadt trockenen Fußes durchqueren. Die Ladengewölbe, die sich unter ihnen verbergen, haben den geheimnisvollen Reiz orientalischer Schatzkammern. Hier verstecken sich" Tea- Rooms" und "Confiserien" und die elegantesten Geschäfte der Schweiz. Der spanische Philosoph Ortega y Gasset bezweifelt in einem Reisetagebuch, ob unsere Zeit, die doch so viel Bequemlichkeit erfand, etwas hervorgebracht hat, was neben Berns menschenfreundlichen Arkaden bestehen kann. Dem Ursprung nach ist Bern deutsch.

Doch seit es Regierungssitz ist, sind Schweizer aus allen Kantonen als Behördenangestellte hierhergezogen. Auf den Straßen hört man genausoviel französisch und italienisch sprechen wie deutsch. Große Organisationen haben sich in der kleinen Weltstadt niedergelassen: der Weltpostverein, die internationale Eisenbahnorganisation, die internationale Strafrechtskommission. Eines aber hat sich nicht geändert. Noch immer unterscheiden die Berner zwei Sorten von Menschen: Bürger und Burger. Berner Bürger ist theoretisch jeder, der hier wohnt. Wichtig aber sind nur die Burger. Sie bilden eine öffentlichrechtliche Körperschaft, die im Leben der Stadt eine große Rolle spielt.

Jeanette und ich vor dem Simson-Brunnen

Bewunderer Berns behaupten allerdings, die Langsamkeit hätte nichts mit Schwerfälligkeit, aber viel mit Gemütlichkeit zu tun. Es gibt in Europa wohl keine gemütlichere Stadt als Bern. In seinen liebevoll restaurierten Altstadtgassen fühlt man sich geborgen wie in Abrahams Schoß. Bern sei "eine Stadt, für den Menschen gebaut", befand eine weitgereiste Journalistin. Eine höfliche Umschreibung für liebenswerten Kleinstadtbetrieb? Davon kann keine Rede sein. Die Stadt hat es zwar als einzige unter den im Mittelalter planvoll gegründeten Städten verstanden, ihr ursprüngliches Gesicht zu bewahren. Aber ihre Mauern strömen keinen Moderduft aus. Bern ist vital und lebensbejahend, es ist weltoffen und charmant. Und die Berner selbst sagen, ihre Stadt atme Größe. Ihre Strassen gehören allein den Autofahrern. Mitten auf ihnen stehen die wunderschönen Berner Brunnen. Jeder hat seine Geschichte. Da gibt es den Dudelsackpfeifer-Brunnen, den Simson-Brunnen (Bild oben) und vor allem den Kindlifresser-Brunnen mit einem mittelalterlichen Kannibalen, der sich mit herumstreunenden Kindli vollstopft, zum Schrecken der jüngsten Berner Bürger.

Berner Patrizierfamilien sind zum Beispiel von Geburt Burger. Es heißt, Burger und Bürger grüßten sich nur im Geschäftsleben, aber nicht auf der Straße. Wer Burger werden will, kann sich um diese Ehre bemühen. Bedingung Nummer eins: "Verbundenheit mit Bern". Außerdem soll der Bewerber mindestens zwei Jahre ansässig, gesund und unbescholten sein. Er muß sich mit einem kleinen Vermögen in die Sozialeinrichtungen der Burger einkaufen. Laut Statuten können auch Minderbemittelte und kleine Leute aufgenommen werden.

Aber grau ist alle Theorie. Noch immer haftet den Burgern der Geruch an, ein exklusiver Klub der oberen Tausend zu sein. Bei so viel Bürgerstolz bleibt es nicht aus, daß die große Weltpolitik nur eine bescheidene Rolle spielt. Zudem hatten die Bewohner des Landes, das "so präzise wie eine Schweizer Uhr geht", stets ein unkompliziertes Verhältnis zur Macht. Der Schweizer Staatsapparat ist klein, viel kleiner als der im kleineren Österreich. Die Mitglieder des "Nationalrats" und des "Ständerats" gehören zu den am schlechtesten bezahlten Politikern Europas. Mit Argusaugen und notfalls mit Volksabstimmungen wachen die sparsamen Helvetier darüber, daß ihre Regierung nicht zuviel Geld ausgibt. Regieren ist Pflicht, nicht Geschäft, findet man in der Schweiz.

Zurück zur Städteübersicht oder mit Next weiterMit dem Zug über Basel nach Frankfurt und von dort mit dem Flugzeug nach Helsinki