Ritter Manfred erzählt in Kürze die Weltgeschichte in Bildern.
Das Zweite Reich: Wilhelm und das Reich der Habsburger
   Das Zweite Reich: Wilhelm und das Reich der Habsburger  

Kaiser Napoleon III. übergibt Bismarck seinen Degen.

Frankreichs Niederlage hat die deutsche Reichsgründung vollendet. Bismarcks Zweites Reich erlebte einen steilen Aufstieg von Industrie und Volkszahl und hielt sich an der Schwelle des neuen Jahrhunderts für berechtigt, in der Welt einen Platz in vorderster Reihe in Anspruch zu nehmen. Das Reich der Habsburger war hingegen in eine tiefe innere Krise geraten, ein Umstand, der sich aus dem Neben-und Gegeneinander seiner verschiedenen Nationalitäten erklärt. Vergeblich suchte es durch den österreichisch-ungarischen Ausgleich tief verwurzelte Widersprüche zu lösen, die dann doch zum Ersten Weltkrieg führten. Südlich der deutschsprachigen Länder machte Italien nicht ohne Schwierigkeiten seine Lehrzeit im modernen politischen Leben durch. Trotz ernster Krisen gelang sie ihm ungleich besser als Spanien, dessen archaische soziale Schichtung neben dem Streben seiner Provinzen nach möglichst weitgehender Selbständigkeit der Errichtung eines modernen, liberalen und zentral regierten Staatswesens im Weg standen.

Preußische Truppen marschieren durch Paris
Wilhelm I. wird im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser ausgerufen.

Am 18. Januar hallte der Spiegelsaal des Schlosses in Versailles von Hoch - und Hurrarufen wider, die aus tausend begeisterten Kehlen ertönten. Denn das war die Stätte, die Bismarck gewählt hatte, um die Einigung des Deutschen Reiches zu verkünden und den König von Preußen als Wilhelm I. zum deutschen Kaiser krönen zu lassen. Dieser war umringt von Generälen und Fahnen, von deutschen Fürsten und Prinzen, welche die preußische Vorherrschaft mit mehr oder minder großer Begeisterung hinnahmen, und von Offizieren und Soldaten, die eben erst Frankreich zu Boden geworfen hatten. Die Ehre des Tages gebührte freilich Bismarck, der seit seiner Ernennung zum preußischen Ministerpräsidenten im Jahr 1862 die deutsche Einigung unter Preußens Führung als Haupt - und Fernziel seiner Politik erstrebt hatte.

Seine Majestät Kaiser Friedrich III.                                                                        Ihre Majestät Kaiserin Victoria
S.M. Kaiser Friedrich III.                                                                       I.M. Kaiserin Victoria.

S.M. Kaiser Wilhelm I.                                                                          Ihre Majestät Augusta v. Sachsen Weimar.
S.M. Kaiser Wilhelm I.                                                              I.M. Augusta v. Sachsen Weimar

Seine Majestät Wilhelm II.  Die Familie Seiner Majestät Wilhelms II.  Ihre Majestät Kaiserin Auguste von Schleswig
   S.M. Wilhelm II.      Die Kaiserliche Familie         I.M. Kaiserin Auguste.

Die Etappen auf dem Weg zu diesem Ziel waren der erfolgreiche Krieg gegen Dänemark und die Herzogtümer Schleswig und Holstein 1864, der Blitzkrieg gegen Österreich 1866 und der siegreiche Feldzug gegen Frankreich 1870/71. Bismarck hielt nun die "im Zorn geeinte" deutsche Nation für gereift, um ein Reich zu errichten, dessen Kaiser der König von Preußen werden sollte. Dann konnte endlich wieder der Reichsrecht vor Länderrecht gehen, und die noch bis dahin souveränen Fürsten Süddeurschlands würden zu Gliedern des neuen Staates. Dennoch mußte der Kanzler Tag für Tag zäh mit den Gesandten vor allem Bayerns und Württembergs verhandeln, bis schließlich das Reich am Jahrestag der Krönung des preußischen Königs Friedrich I. gegründet werden konnte.

Einzug der preußischen Truppen in Berlin nach dem gewonnenen Krieg gegen Frankreich

Jetzt galt es dem Staatsgebilde eine angemessene Regierungsform zu geben. Bismarck übertrug die Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 mit ihrer konstitutionellen Monarchie auf das Reich. Dieses setzte sich aus 26 Einzelstaaten zusammen, darunter die drei freien Reichsstädte Hamburg, Bremen und Lübeck. Jedes Land behielt seine Verfassung, seine Regierung und seine eigenen staatlichen Einrichtungen. Auch die Justizpflege, das Unterrichtswesen, die öffentlichen Arbeiten und die Gemeindeverwaltungen blieben Ländersache. Einige behielten sogar ihr eigenes Heer, allerdings unter dem Oberbefehl des Kaisers. Über den 26 Länderregierungen standen die Organe des Reichs: der Reichstag, der Bundesrat, der Reichskanzler und der Kaiser.

Der Reichstag wurde bereits ab 1867 nach den allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht gewählt. Wahlberechtig waren alle männlichen Deutschen im Alter von mindestens 25 Jahren. Durch dieses moderne Wahlrecht überflügelte das Reich sogar England! Der Bundesrat bestand aus den Vertretern der Einzelstaaten des Reiches, die von ihren Fürsten oder von den Reichsstädten ernannt wurden. Die beiden Kammern, Bundesrat und Reichstag, hatten in Gemeinschaft mit dem Kanzler das Recht, Gesetze vorzuschlagen und zu beraten. Wurde ein Gesetz von den beiden Kammern angenommen, so trat es in Kraft, ohne daß der Kaiser sein Veto dagegen einlegen konnte. Der Bundesrat war außerdem formal der Träger der Souveränität.

Bismarck besucht eine Schule mit sogenannten ABC-Schützen - will heissen: Erstklässler.

Dafür hatte der Kaiser allein das Recht den Reichskanzler zu ernennen oder zu entlassen, Krieg zu erklären und mit der Zustimmung des Bundesrates den Reichstag aufzulösen. Die Reichsregierung war unter anderem allein zuständig für die auswärtigen Beziehungen, das Heerwesen, die Zoll - und Wirtschaftspolitik im allgemeinen und für Elsaß-Lothringen. Außer dem Reichskanzler gab es nur Staatssekretäre, aber keine Minister, die Aufgaben der Ministerien erfüllten Ämter. Finanziell war das Reich auf die Zolleinnahmen und und die indirekten Steuern angewiesen. Alle direkten Steuern fielen an die Einzelstaaten, die aber den Fehlbetrag im Reichseichshaushalt decken halfen. Immerhin war das Reich steuerpolitisch ein Kostgänger der Bundesstaaten.

  Bismarck: Der "Eiserne" Kanzler  

So lag alle Verantwortung auf den Schultern des Reichschskanzlers Bismarck. Er war außerdem Vorsitzender des Bundesrates. Hinzu kam die weitere Besonderheit, daß Preußen weitaus größer war als alle anderen Einzelstaaten des Reichs: es umfaßte ein Gebiet von 351.000 km2, das ganze Reich ein solches von 514 000 km2. Bei der Volkszahl galt das gleiche Verhältnis: von 41 Millionen Reichsdeutschen waren 25 Millionen Preußen. Von 58 Stimmen im Bundesrat besaß Preußen 17. Der deutsche Kaiser, der an der Spitze des Reiches stand, war zugleich König von Preußen, der Reichskanzler in der Regel preußischer Ministerpräsident, und mehrere Staatssekretäre des Reiches waren jeweils zugleich preußische Minister.

So blieb Preußens Vormachtstellung unbestritten. Es hielt den starken Drang nach Vereinheitlichung überall dort in Schranken, wo es um seine Sonder- und Vorrechte ging, förderte ihn aber, wenn ihm dadurch die Führung im Reich gesichert wurde. Die Fäden dieses komplizierten Staatsgebildes, das im Kern einen Bund monarchischer Obrigkeiten bildete, liefen in Bismarcks Hand zusammen, der es ja geschaffen hatte. Er verstand sie meisterhaft zu ziehen. Hinter seiner meist gleichbleibenden Miene verbargen sich ausgeprägter Wirklichkeitssinn und ironischer politischer Realismus. Wilhelm I. schenkte ihm dankbar ein großes Landgut, so daß er auch zu einem der bedeutendsten Grundbesitzer Deutschlands wurde. Bismarck sagte: "Wenn man meine politischen Leistungen vergessen haben wird, so wird man beim Anblick all der Bäume, die ich gepflanzt habe, doch wieder an mich denken."

Die gute alte preußische Garde.

Jedes Jahr verbrachte er mehrere Monate auf seinem Gut, das er Friedrichsruh genannt hatte. Wenn er nach Berlin zurückkehrte, gab er Gesellschaften, bei denen er sehr gesprächig war und seine Gedanken über die Innen- und die Außenpolitik des Reiches darlegte, begründete und für sie warb. Als ausgesprochener Pragmatiker und Realpolitiker hielt er nicht viel von starren politischen Lehrmeinungen. Als der Reichstag zusammentrat, verfügten drei große Parteien beinahe über die Gesamtheit der Sitze: die Konservativen als Repräsentanten des alten Preußen, die eng mit der protestantischen Kirche verbunden waren und die Interessen der Großgrundbesitzer vertraten; die Nationalliberalen als stärkste der drei Parteien, die sich auf die Intellektuellen und die Geschäftswelt stützten; schließlich die Zentrumspartei, welche Katholiken aller Volksschichten umfaßte. Die linksliberalen zählten noch kaum mit, und für die Sozialisten gab es nur zwei Vertreter: Bebel und Liebknecht.

    "Wir gehen nicht nach Canossa"  

Sowohl im Reich als auch in Preußen wurden eine Reihe von scharfen Maßnahmen getroffen: das Verbot des Jesuitenordens, das Mitspracherecht der Oberpräsidenten der preußischen Provinzen bei der Amtseinsetzung von katholischen Geistlichen sowie die Aufhebung der katholischen Schulaufsicht. Die katholischen Bischöfe in Deutschland beschlossen hierauf, den staatlichen Anordnungen passiven Widerstand entgegenzusetzen und die entsprechenden Gesetze nicht auszuführen. Daraufhin wurden sie verfolgt und einige von ihnen sogar in Haft genommen. Aber die Zentrumspartei ging aus diesem Kampf gestärkt hervor. Auch wenn Bismarck ausgerufen hatte: "Wir gehen nicht nach Canossa!", so mußte er endlich doch vor dem entschlossenen Widerstand eines bedeutenden Teiles des deutschen Volkes und der Kaiserin selbst nachgeben.

Er gab die meisten Kampfgesetze auf, hielt aber am Kanzelparagraphen, der staatlichen Schulaufsicht, der Zivilehe und dem Jesuitengesetz fest. Die Wahl des wendigen Leo XIII. zum Papst 1878 erleichterte Bismarck den Rückzug. Bismarck brauchte zudem die Unterstützung der Katholiken, nachdem er die Nationalliberalen durch den Übergang zur Schutzzollpolitik und die geplanten Sozialistengesetze in die Opposition getrieben hatte. 1878 ließ er den Reichstag auflösen. Die Neuwahl brachte ihm und den Konservativen ein deutliches Übergewicht. Jetzt konnte er die Ausnahmegesetze gegen die auf gewaltsamen Umsturz drängende Sozialdemokratie in Kraft setzen.

Als Begründer der deutschen Einheit und als Staatsmann von europäischem Format hielt Bismarck die Zügel der Regierung bis 1890 fest in seiner Hand. Dann entließ der junge und ehrgeizige Wilhelm II. den genialen Politiker,dem die Reichstagsabgeordneten hier bei einer Sitzung im Februar 1888 huldigen.

Der wirtschaftliche Aufschwung der sogenannten Gründerjahre hatte zum Entstehen eines reichen Bürgertums und zu einem raschen Anwachsen des städtischen Proletariats geführt und somit das politische Antlitz Deutschlands sehr verändert. Die Sozialdemokratie fand daher einen günstigen Nährboden. Sie war freilich gespalten. Auf der einen Seite standen die Anhänger von Ferdinand Lassalle und traten für eine fortschreitende Umwandlung der Gesellschaft auf dem Weg der Gesetzgebung mit dem Ziel der Errichtung einer Art von Staatssozialismus ein, auf der anderen die Anhänger des revolutionären Internationalisten Karl Marx, der in London im Exil lebte. Lassalle legte auf seine äußere Erscheinung größten Wert und war ganz der Mann dazu, glühende Leidenschaften zu wecken. 1864 verlor er aber bei einem Duell um eine Frau sein Leben. Marx duldete nicht den geringsten Widerspruch und hatte auf den deutschen Sozialismus immer mit Geringschätzung herabgesehen. Der Tod von Lassalle und das Ansehen von Marx, das seit dem Erscheinen des ersten Bandes seines Hauptwerks "Das Kapital", im Jahre 1867 gewaltig gestiegen war, führten schließlich zu einer Einigung der bei den Richtungen auf dem Gothaer Parteitag von 1875 mit einem Programm, das Marx scharf kritisierte.

Die Einheitspartei wurde von August Bebel geführt und schuf sich in der Zeitung "Vorwärts" ihr eigenes Organ. 1877 brachten es die Sozialdemokraten bei den Wahlen auf etwa eine halbe Million Stimmen. Im folgenden Jahr wurden zwei erfolglose Attentate auf Kaiser Wilhelm l. ausgeführt. Das war ein willkommener Vorwand für Bismarck, durch das Gesetz vom Oktober 1878 alle Organisationen zu verbieten, welche die bestehende Staats- und Gesellschaftsordnung bekämpften. Zugleich wurden öffentliche Versammlungen und Umzüge sowie die Herausgabe sozialistischer Zeitungen untersagt. Verdächtige Personen konnten aus bestimmten Städten oder Gegenden kurzerhand ausgewiesen werden. Dieses Ausnahmegesetz wurde alle zwei Jahre erneuert, bis es 1890 aufgehoben werden mußte.

Gleichzeitig ließ der Kanzler durchgreifende soziale Reformen durchführen. Eine kaiserliche Botschaft vom Jahr 1881 kündigte "positive Maßnahmen zur Verbesserung der Lebenslage der Arbeiter" an, worauf 1883 ein Gesetz über die Kranken-, 1884 über die Unfall- sowie 1889 über die Invaliden- und Altersversicherung erlassen wurde. Bismarcks weitsichtige Sozialgesetzgebung wurde der Welt zum vielbestaunten und fast überall nachgeahmten Modell. Deutschland war der Welt um eine Generation voraus. Gleichzeitig wurden die ersten Gesetze über den Arbeiterschutz in den Betrieben erlassen. Die Sozialdemokratische Partei bezeichnete indessen die staatliche Hilfe als ein Almosen, die Arbeiter blieben dem Staat feindlich gesinnt. In der Tat schritt die Sozialdemokratie von Erfolg zu Erfolg und konnte 1912 nicht weniger als 12 Abgeordnete in den Reichstag entsenden!

   Bismarcks Entlassung  

Nach dem Zerwürfnis mit Kaiser Wilhelm II. trat Bismarck im März 1890 zurück. Damit fand nicht nur eine politische Laufbahn sondergleichen, sondern auch eine für Preußen und Deutschland ruhmreiche Epoche ihr Ende. Die Beifallskundgebungen der Berliner bewiesen dem Kanzler, daß seine großen Verdienste fast zwanzig Jahre nach der Reichsgründung unvergessen waren.

Am 9. März 1888 starb Kaiser Wilhelm I. im Alter von 91 Jahren. Als Bismarck im Reichstag einen Nachruf auf ihn hielt, wurde er vom Schmerz überwältigt, so daß er die Hände vors Gesicht schlug und weinte. Der neue Kaiser Friedrich III., ein Schwiegersohn der Königin Viktoria von England, war ein liberaler, hochgebildeter Mann, der allem Prunk abhold war. Er wollte das Bismarcksche Regierungssystem im demokratischen Geist umbilden. Aber er litt bereits an Kehlkopfkrebs und starb schon nach drei Monaten. Mit der Thronbesteigung seines 29jährigen Sohnes Wilhelm II. erstarkte der Nationalismus. Zwar berief sich der neue Kaiser unausgesetzt auf seinen "unvergeßlichen Großvater", aber ganz im Gegensatz zu diesem liebte er lautes Gepränge, eine prächtige Fassade, prahlerische Großsprecherei und martialische Gesten. Bismarck verglich ihn mit einem "Schiffskapitän, der mit der Zigarre im Mund auf einem Pulverfaß sitzt".

Bild oben links: Bismarck und Seine Majestät Kaiser Wilhelm I.
Bismarck mochte diesen Kaiser sehr.

Der Kanzler hielt sich für unersetzlich. Aber der junge Kaiser gedachte selbst zu regieren. Über die Sozial - wie auch über die Außenpolitik kam es schon sehr bald zu Meinungsverschiedenheiten. Am 18. März 1890 verfaßte der alte Kanzler nach einem heftigen Zusammenstoß mit Wilhelm II. sein Abschiedsgesuch. Bismarck zog sich auf sein Landgut in Varzin zurück und starb dort acht Jahre später nach Monaten schlafloser Nächte, in denen er von bedrückenden Visionen kommenden Unheils gepeinigt worden war. "Sie schlagen das Gebäude in Stücke, das ich errichtet habe!" Seine letzten Worte sollen gelautet haben: "Ach Deutschland! Was für ein entsetzliches Unglück ist über Deutschland hereingebrochen!"Wie recht der Kanzler doch hatte. Da hatte er aber im Traum noch nicht daran gedacht, dass einmal eine Kanzlerin Merkel in Deutschland regieren wird, die das Land noch schlimmer ins Unglück stürzen wird und Aber-Milliarden für "Flüchtlinge" ausgeben wird, die zu 70 Prozent gar keine Verfolgten sind, sondern reine Wirtschaftsflüchtlinge. Heute könnte er diesen Satz mit ehrlichem Gewissen wiederholen."Was für ein entsetzliches Unglück hat diese Frau über Deutschland gebracht!"

Wilhelm II. der hier von einer Eskorte begleitet wird und sich begeistert feiern läßt besaß weder den Wirklichkeitssinn noch die beharrliche Konzequenz seines Großvaters Wilhem I. In einer Rede von 1891 erklärte der eitle Kaiser: Ein einziger ist Herr im Reich und das bin ich! Ich dulde keinen anderen. Seinen Lohn bekam er 1918, als er, zusammen mit dem österreichischen Kollegen Franz Joseph I. und dem russischen Zar Nikolaus II. abdanken mußte.

   Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser  

Unter der Regierung Wilhelms II. erlebte Deutschland einen fast märchenhaften wirtschaftlichen Aufstieg. Die verschiedensten Umstände trugen vereint dazu bei: die Zunahme der Bevölkerung, die reichen Bodenfunde, die konsequenter als früher erschlossen wurden, sodann ein klug erdachtes Ineinandergreifen der gesamten Geschäftstätigkeit, starke und unternehmungsfreudige Persönlichkeiten, die als Triebkräfte wirkten, dazu Gewissenhaftigkeit, Ausdauer und Fleiß, die Eigenschaften, durch welche sich der deutsche Arbeiter von jeher auszeichnete. Hinzu trat eine enge Verbindung zwischen wissenschaftlicher Grundlagenforschung und industrieIler Anwendung. Alle diese Gründe wirkten beim Aufbau einer weltweit führenden optischen, feinmechanischen, elektrischen, chemischen, pharmazeutischen und Textilindustrie zusammen. Die Eröffnung neuer Schiffahrtswege wie des Nord-Ostsee-Kanals zwischen Elbbucht und Kiel, die Vergrößerung der Handelsflotte, deren Tonnage sich beinahe versechsfachte, der Seehäfen, der Werften, all das förderte stark den deutschen Außenhandel. 1890 lag er nur wenig über dem französischen Außenhandelsvolumen, 1913 erreichte er bereits dessen doppelten Umfang! Hamburg wurde zum bedeutendsten europäischen Seehafen.

So vermittelten das industrielle Zeitalter, die militärischen Siege und das Bewußtsein seiner Macht dem Reich kraftvolle Impulse. Es war wie mit einem einzigen Flügelschlag auf dem Gipfel angelangt und fühlte, wie es der Historiker Gervinus* ausdrückte, daß "die Tage des Willens und der Tat angebrochen" seien. Nietzsche verkündete den Willen zur Macht als das geistige Kennzeichen des überlegenen neuen Menschen. Er behauptete, daß es zwei Arten von Moral gebe, eine für die Herren, die andere für die Herde; er verherrlichte die kraftvolle "blonde Bestie", den Krieg als Kampf ums Dasein und wurde als Rassist mißverstanden. Der Franzose Gobineau und der Engländer Houston Stewart Chamberlain verbreiteten die arische Rassentheorie in Deutschland und fanden damit großen Anklang. Der Germane sei allen anderen Rassen überlegen, er allein verkörpere die auserwählte Rasse und habe das Recht, zu erobern und zu befehlen. So entstand die Wunschvorstellung eines germanischen Großreiches von der Nordsee bis zur Adria, das zur europäischen Hegemonialmacht berufen sei. Der Alldeutsche Verband sah seine Aufgabe darin, diese Vorstellungen ins Volk zu tragen. Kurz vor Kriegsausbruch 1914 stimmten Unzählige zu, als Bernhardi erklärte: "Der Krieg ist nicht nur eine Lebensnotwendigkeit, er ist in manchen Fällen sogar eine moralische Verpflichtung und damit ein unentbehrlicher Kulturfaktor." Auf diese Weise sollte der Krieg also die Gerechtigkeit auf Erden verwirklichen und dem Volk zum Sieg verhelfen, das seiner am würdigsten und kulturell am weitesten fortgeschritten war. Der deutsche Nationalismus gewann eine bedrohliche Kraft, und das ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, als Österreich endgültig der Atem auszugehen schien.

   Die Herrscher der Hofburg  

Die Herrscher der Hofburg