Ritter Manfred in seiner Bibliothek.
            

  Parsifal hört Kondwiramurs Sorgen.  

Parzival hatte schweigend der Klage zugehört. Aber sein Herz war voll Mitleid, der schönen Königin zu helfen. "Sagt, edle Herrin", rief er entschlossen, "was ich Euch zum Trost und zur Rettung tun kann! Und seid versichert, in mir einen treuen Helfer zu finden!" Unter Tränen gab Kondwiramur ihm Antwort: "Wenn Ihr mich erlösen wolltet von dem schrecklichen Kingrun, Herrn Klamides Seneschall. Morgen kommt er wieder vor meine Burg und meint, mich endlich in die Arme seines Herrn zu zwingen." Parzival war ganz gefangen vom Liebreiz der Königin. "Vieledle Herrin", versetzte er schlicht, "seid versichert, daß Ihr in mir einen Helfer habt gegen jeden Eurer Feinde!" "Welch Trost sind mir Eure Worte", rief sie beglückt; "habt innigen Dank, Herr Ritter!" Dann schlich sie leise in ihr Schlafgemach zurück. Niemand hatte den nächtlichen Besuch bemerkt. Parzival aber konnte nicht wieder einschlafen; zu sehr bewegten ihn die Worte der schönen Königin.

Königin Kondwiramur verabschiedet Parsifal in den Kampf.

In aller Frühe verlangte Parzival nach seinem Harnisch und ließ sich wappnen. Schon zeigte sich der grimme Kingrun vor dem Tore. Weit ritt er Klamides Heere, das mit vielen Streitbannern drohend heranrückte, voraus. Ohne Zaudern sprengte Parzival dem furchtbaren Gegner entgegen. So wuchtig war der Anprall, daß die Pferde mit geborstenen Gurten und Bauchriemen zu Boden sanken. Behende aber sprangen die Ritter aus dem Sattel, zogen das Schwert und setzten den Kampf zu Fuß fort. Es war Parzivals erster Schwertkampf. Doch er zeigte, was er bei Ritter Gurnemanz gelernt hatte. Seine Schwerthiebe trafen den Seneschall so wuchtig wie Würfe einer mächtigen Steinschleuder. Parzival bezwang ihn nach bitterem Kampfe und setzte ihm den Fuß auf die Brust, doch Herr Kingrun bat um sein Leben. "Ich biete Euch als Sühne, was Ihr verlangt", rief er, und Parzival, der nicht nach Rache strebte, gewährte sie ihm. Er gebot ihm, an König Artus, Hof zur Jungfrau Kunneware zu gehen, die einst um Parzivals willen von dem Seneschall Keye so gröblich beleidigt war. "Sagt der edlen Jungfrau", fügte er hinzu, "sie werde mich nimmer froh sehen, bis ich jene üble Tat gerächt und dort einen Schild durchbohrt habe!" König Klamides Ritterheer ließ nach diesem Siege über den stärksten Streiter sogleich von weiteren Angriffen ab.

Parsival reitet mit den Rittern der Königin gegen König Kingrun.

Bejubelt von den Bürgern der Stadt, kehrte Parzival zurück. Alle riefen laut, der Heldenjüngling solle die Hand der jungen Königin erwerben und Krone und Reich in seine männliche Gewalt nehmen. Freudig begrüßte ihn auch Kondwiramur, umarmte ihn vor allen Leuten und half ihm selber, Waffen und Harnisch abzulegen. "Nie auf Erden will ich eines anderen Weib werden als dessen, den ich hier umarmt und geehrt habe", sagte sie mit glückseligem Lächeln.

Frau Kondwiramur ehrt Parsifal und legt ihm den Siegeskranz aufs Haupt.

Da zeigten sich zwei bunte Segel auf dem Meere, und schnell trieb der Wind zwei mächtige Kauffahrteischiffe in den Hafen; der Sturm hatte sie dorthin verschlagen. Zwei Schiffe, voll beladen mit Lebensmitteln! Gott selber mochte es in seiner Weisheit so gefügt haben. Parzival bot den Kaufleuten doppelten Preis für die Habe und sorgte für gerechte Verteilung an die hungernde Bevölkerung. Er selber überwachte fürsorglich, daß jeder zu seinem Recht kam. Unter inniger Anteilnahme der ganzen Stadt wurde sodann die Hochzeit des jungen Paares gefeiert.

Bild unten: Da zeigten sich zwei bunte Segel auf dem Meere, die ein völlig anderes Ziel hatten, aber schnell trieb der Wind die zwei mächtige Kauffahrteischiffe in den Hafen.

Parzival war jetzt Ehegatte der schönen Kondwiramur und König von Belrapeire. Der grimme König Klamide wollte die Unglücksbotschaften nicht glauben, die ihm von Kingruns Besiegung berichteten. Er war tief bedrückt über die Mutlosigkeit seines Heeres und wagte keinen neuen Angriff. Parzival ließ die Tore zu einem Ausfall öffnen und stritt allen tapfer voran. Bald gelang es ihm, den König selber, der seiner jungen Gemahlin soviel Leid zugefügt hatte, zum Zweikampf zu stellen. Der Sieg in diesem Streit der beiden Könige, so wurde nach Ritterart vereinbart, sollte über den Ausgang des ganzen Krieges entscheiden. Auch hier erwies sich Parzival als der Überlegene. Klamide hatte nicht die Ausdauer des starken Parzivals. Schließlich traf ihn ein so mächtiger Schwertstreich, daß er zu Boden stürzte und Parzival ihm den Helm vom Kopfe riß. Der Besiegte erwartete den Todesstreich. Doch Parzival schonte in seinem Edelmut auch diesen Besiegten. Er gab auch ihm auf, an König Artus, Hof zu ziehen und sich der Jungfrau Kunneware als besiegt zu stellen. "Und sagt dem Seneschall Keye", fügte er hinzu,"daß meine Rache nicht auf sich warten lassen wird." So war das Land von der lastenden Belagerung befreit.

Bild unten: Klamide und Kingrun mit einigen Getreuen. Die Besiegten ritten nach Parzivals Gebot an den Artushof in die Bretagne und richteten der Jungfrau Kunneware getreulich den Sühnebefehl ihres Besiegers aus.

Die beiden Besiegten ritten nach Parzivals Gebot an den Artushof in die Bretagne und richteten der Jungfrau Kunneware getreulich den Sühnebefehl ihres Besiegers aus. Wie staunte man dort über Parzivals Waffenerfolge! Der junge König wußte die Krone mit Würde und in Ehren zu tragen. In kurzer Frist blühte das Land unter seiner weisen und kraftvollen Regierung wieder auf. Mit seiner schönen Gemahlin lebte Parzival in der glücklichsten Ehe. Kondwiramur hing mit inniger Liebe und Bewunderung an ihm. Doch für Parzival konnte die heitere Ruhe nicht von Dauer sein. Es drängte ihn hinaus auf Abenteuer. Traurig ließ Kondwiramur den geliebten Gatten ziehen. Auf der Gralsburg Wieder überließ er dem Pferde den Zügel und ließ sich durch Wildnis und pfadloses Moor tragen. Als der Abend herabdunkelte, kam er an einen See. Dort ankerten Männer in Ufernähe, die auf Fischfang ausgingen und Wasservögel jagten. Parzival rief sie freundlich an. Es war einer unter ihnen, der hob sich durch seine Kleidung auffällig heraus. Er trug eine Pfauenfeder am Hute und auf dem Jagdrock prächtigen Pelzbesatz. Ihn fragte der fahrende Ritter, wo er für die Nacht wohl Herberge finden könne. Mit tiefer Traurigkeit gab der Gefragte Antwort: "Soviel mir bekannt ist, Herr, gibt es in dreißig Meilen rundum keine andere menschliche Behausung als eine feste Burg. Sie liegt dort hinter jenem Felsvorsprung. Wenn Ihr vom Burggraben aus um Einlaß bittet, so wird man Euch die Zugbrücke herablassen." Der Sprecher war der Burgherr selber.

Bild unten links: Parzival folgte der Weisung und wurde gastfrei aufgenommen. Man bereitete ihm ein Bad und reichte ihm weiche Hauskleidung aus Seide.

Parzival folgte der Weisung und wurde gastfrei aufgenommen. Man bereitete ihm ein Bad und reichte ihm weiche Hauskleidung aus Seide. Als dann gemeldet wurde, der Burgherr sei zurückgekehrt, bat man den Gast zum Mahle. Der Rittersaal erstrahlte in blendender Helle der Kronleuchter und der Kerzen. An den Wänden standen hundert Ruhepolster, die Platz für je vier Ritter boten. In drei marmornen Feuerstätten mitten im Saal strahlte wohlriechendes Holz einen milden Schein aus. Dort hatte sich der Burgherr auf seinem Ruhebett niedergelassen. Er begrüßte den Gast freundlich. Welch ein Gegensatz war zwischen den beiden! Der kranke Ritter, obwohl in kostbare, pelzbesetzte Gewänder gehüllt, schien noch siecher, sein Antlitz noch gramvoller, als Parzival es am See bemerkt hatte. Und vor ihm stand der strahlende Recke in aller Fülle seiner Jugendkraft und Mannesschönheit, daß alle Ritter voller Bewunderung auf ihn blickten. Auf einmal öffnete sich eine Tür, und ein Knappe trat ein. In der Hand trug er einen Speer, an dessen Schaft Blut herabtroff. Lautes Wehklagen erscholl nun durch den weiten Saal, als der Knappe mit der blutbedeckten Waffe an allen Rittern vorbeischritt; in tiefer Trauer hielten sie das Haupt gesenkt, bis er den Saal wieder verlassen hatte. Parzival stand voll Staunen und blickte stumm auf die feierliche Handlung. Da öffnete sich auf der anderen Seite des Saales eine stählerne Tür, und vier liebliche Jungfrauen, goldene Leuchter in den Händen, kamen herein. Schweigend setzten sie zwei Bänklein von Elfenbein vor dem Burgherrn nieder. Es folgten vier Frauenpaare, köstlich in grünen Samt gekleidet. Sie trugen Kerzen und legten eine Tischplatte aus funkelndem Granat auf die elfenbeinenen Bänkchen vor den Burgherrn. Schweigend rückten die Jungfrauen dem Siechen den Tisch zurecht, verneigten sich tief und traten zurück. Wieder öffnete sich die Stahltür: sechs schöne Jungfrauen, silbernes Tafelgeschirr in den Händen, richteten sorgsam den Tisch. Parzival blickte in wachsendem Staunen auf das wundersame Bild; aber auch er brach mit keinem Worte das feierliche Schweigen, das über dem weiten Saale lag. Abermals traten sechs Jungfrauen in kostbaren, golddurchwirkten Gewändern hervor. Sie waren das Ehrengeleit für die Königin.

    
Parsifal beobachtet stumm das Geschehen im Gralsschloss.

Denn nun erschien die schönste der Schönen. Ihr Antlitz erstrahlte in Schönheit wie die Morgensonne im ersten Frühlicht. Auf grünseidenem Kissen trug sie eine Schale aus wundersam funkelndem Edelstein. Das war der Heilige Gral, der Wunderhort aller Christenheit. Die Trägerin dieses Heiligtums war des Burgherrn Schwester, Repanse de Schoye; denn des Grals Wunderwesen gebietet, daß nur eine reine Hand ihn berührt. Es ist das heilige Gefäß, aus dem einst Christus beim letzten Abendmahl mit seinen Jüngern trank und in dem Joseph von Arimathia das Blut des gekreuzigten Heilands auffing, als die rohen Kriegsknechte ihm die Seite öffneten. Die edle Jungfrau verneigte sich züchtig vor dem königlichen Bruder, setzte das heilige Gefäß vor ihn hin und zog sich mit ihren kerzentragenden Jungfrauen zu den übrigen zurück, die sich je zwölf und zwölf ihr zur Seite reihten. Nun rüstete man sich zur festlichen Bewirtung der vierhundert Ritter. Knappen trugen hundert Tische herbei, deckten sie mit weißem Linnen und setzten sie vor die Ruhepolster.

Bild unten: Die edlen Ritter waren beim Heiligen Gral zu Gaste. Wie staunte Parzival über all diese Wunder! Aber eingedenk der Ritterlehre des edlen Gurnemanz unterließ er jede Frage. Er stand abseits - rechts an einem Stuhl.

Für jeden der Tische standen vier Knappen zur Bedienung bereit. Goldene Gefäße und kostbares Tafelgeschirr wurden auf zierlichen Wagen herbeigeführt. Und jetzt geschah das Wunder: Was jeder der ritterlichen Gäste sich wünschte an Speisen erlesenster Art, das spendete der Heilige Gral, und das wurde nun von den bedienenden Knappen eilfertig herbeigetragen. Und was sie auch zu trinken begehrten, das floß in den ausgestreckten Becher, alles von der Wunderkraft des Grals. Die edlen Ritter waren beim Heiligen Gral zu Gaste. Wie staunte Parzival über all diese Wunder! Aber eingedenk der Ritterlehre des edlen Gurnemanz unterließ er jede Frage. Da brachte ein Knappe auf einen Wink des Burgherrn ein Schwert herbei. Griff und Klinge waren Wunder an kostbarer Arbeit. "Nehmt diese Waffe als mein Gastgeschenk", sagte er zu Parzival; "tragt sie in Ehren, die mir in so manchem Streite zur Seite stand, ehe die tückische Krankheit mich schlug." Parzival nahm das Schwert entgegen. Daß er nicht den tieferen Sinn der feierlichen Umgebung erkannte! Er ahnte nicht, der junge Tor, daß es in seiner Hand lag, den Gastgeber von aller Last zu befreien! An Parzival lag es, das rechte Wort auszusprechen. Aber auch jetzt sprach er kein Wort; kein Wort des Dankes oder des Mitleids oder eine Frage nach der Ursache des Leidens kam über seine Lippen.

Parzival stand voll Staunen und blickte stumm auf die feierliche Handlung.

Da gab der Kranke das Zeichen, das Mahl zu beenden. Eilfertig trugen die Knappen die Tafelgeräte hinaus, und in feierlichem Zuge führte die schöne Königin, geleitet von ihren Ehrenjungfrauen, den Heiligen Gral aus dem Saale. Parzival schaute dem Kleinod schweigend nach. Da sah er durch die geöffnete Tür einen Greis auf dem Ruhebette liegen; sein Haar war weiß wie kristallner Frühreif. Niemals, so schien es dem jungen Ritter, hatte er solch friedestrahlende Altersschönheit erblickt. Aber auch jetzt stellte der Jüngling keine Frage. Wer mochte der ehrwürdige Alte sein? "Ihr werdet müde sein," wandte sich der Burgherr nun wieder seinem Gaste zu. "Schlafgemach und Nachtlager sind Euch bereitet. So wünsche ich Euch eine gesegnete Nachtruhe!" Parzival verneigte sich zum Danke züchtig nach Ritterart" aber immer noch blieb er in törichter Verblendung schweigsam. Man führte ihn in eine ganz prächtig hergerichtete Kemenate, in der ein prunkvolles Bett für ihn bereitstand. Ritter, Knappen und edle Jungfrauen wetteiferten darin, ihm zu Diensten zu sein. Aber die ersehnte Ruhe wollte nicht bei ihm einkehren. Wirre Träume schreckten ihn, Schwertschläge prasselten auf sein Bett, und Ritterscharen sprengten in wildem Turnier über ihn dahin. Schweißgebadet wachte er auf. Der junge Tag schien schon freundlich zu ihm herein, doch keiner der aufmerksamen Diener zeigte sich. Erschrocken fuhr er auf, blickte sich voll Verwirrung im Raume um und rief nach den Knappen. Doch niemand war zu seinem Dienste bereit.

Bild unten: Kaum hatte Parzival die Zugbrücke verlassen, da wurde sie hinter ihm in die Höhe gezogen, und ein Knappe, der sich vorher verborgen gehalten hatte, rief ihm höhnisch nach: Tölpel wie Euch erlebt man nicht alle Tage! Nach Ritterruhm scheint Euch nicht zu verlangen! Hättet Ihr Euren Mund nur einmal gerührt, um den Herrn zu fragen! Nun habt Ihr alle Ritterehre verspielt!

Auf dem Teppich vor seinem Bette lag neben seinem Schwerte das Gastgeschenk des Burgherrn, daneben seine Rüstung. In aller Eile wappnete er sich, band beide Schwerter um und trat auf den Hof. An der Treppe fand er sein Roß; daneben lehnten Schild und Speer. Doch vergeblich blickte er sich nach den Bewohnern der Burg um; niemand zeigte sich. Auf dem Hofe fand er Erde und Gras von Pferdehufen zertreten. Das Burgtor stand weit offen, und Spuren vieler Hufe wiesen hinaus. Entschlossen folgte er den Spuren zum Tore hinaus. Kaum aber hatte er die Zugbrücke verlassen, da wurde sie hinter ihm in die Höhe gezogen, und ein Knappe, der sich vorher verborgen gehalten hatte, rief ihm höhnisch nach: "Tölpel wie Euch erlebt man nicht alle Tage! Nach Ritterruhm scheint Euch nicht zu verlangen! Hättet Ihr Euren Mund nur einmal gerührt, um den Herrn zu fragen! Nun habt Ihr alle Ritterehre verspielt!" Parzival blickte sich bei dieser unerwarteten Beschimpfung ganz erstaunt um und verlangte nach einer Erklärung. Aber der Knappe würdigte ihn keiner Antwort.

Bild unten links: Unter einer breitästigen Linde saß eine schöne Frau, neben ihr lag ein toter Ritter. Jetzt erkannte Parzival die Jungfrau. Es war seine Base Sigune, die immer noch um den erschlagenen Ritter, ihren Verlobten, trauerte.

In tiefen Gedanken war er den Spuren der Ritter nachgeritten. Aber bald verloren sie sich im dichten Walde. Da hörte er ganz in der Nähe eine weinende Frauenstimme. Unter einer breitästigen Linde saß eine schöne Frau, neben ihr lag ein toter Ritter. Jetzt erkannte Parzival die Jungfrau. Es war seine Base Sigune, die immer noch um den erschlagenen Ritter, ihren Verlobten, trauerte. Sie bot Bild des Grauens. "Du bist Parzival, meiner Mutterschwester Sohn", rief sie ihn an; "sage mir doch, was du in diesem Walde suchst!" Von Sigune erfuhr er das Geheimnis der Gralsburg. Sie ist an aller irdischen Vollkommenheit reich. Aber nicht jedem Sterblichen ist sie zugänglich. Wer sie mit Fleiß sucht, der wird niemals zum Ziele kommen. Wer aber unbewußt und ohne Absicht zu ihr gelangt, dem wird sie sich öffnen, und aller Erdensegen und alle irdische Glückseligkeit wird dem Finder zuteil. Parzival hörte schweigend zu. "Du wirst von dieser Burg nichts wissen, Parzival", fuhr Sigune fort. "Munsalwäsche ist ihr Name. Dort regiert als Gralskönig der edle Amfortas, den Gott mit schwerer Krankheit geschlagen hat. Er kann nicht gehen noch reiten noch liegen noch stehen und muß immerfort in einem Sessel lehnen.

Wärest du dorthin gelangt", fuhr Sigune fort, "zu Amfortas und seinen trauernden Rittern, so wäre der Burgherr von seinem Leid befreit worden - dir aber winkte höchster Ritterruhm und alle irdische Erfüllung im Leben!"
"Ich war auf der Burg und habe vielerlei Wunder geschaut", entgegnete Parzival düster.
"Du warst auf der Burg! Sahst du den unglückseligen Amfortas?"
Sigune war außer sich vor Erregung. "Oh, wenn du sein Leid gewandt hast, Gott wird deine Reise dann segnen! Denn alles, was die Himmelsluft berührt, steht als dann unter deiner Hoheit, und dir ist bestimmt, alle Macht in Fülle zu erwerben! Wenn du ihn von seinem Siechtum befreit hast", fuhr Sigune fort, "so bist du höchsten Ruhmes wert. Du trägst sein Schwert, so wirst du seinen Segen kennenlernen. Deiner Hand muß alles dienen, was du an Wundern dort auf der Burg erblicktest. Allzeit wirst du der Seligkeit Krone tragen." Parzival sprach kein Wort. "Hast du der Frage ihr Recht getan?" fuhr sie auf.
"Ich habe nicht gefragt."

"O du Unseliger", rief die Jungfrau voll Entsetzen und bedeckte mit den Händen die Augen. "Du sahst das heilige Wunder und hattest nicht den Mut zu fragen! Geh mir aus den Augen, den das Schicksal verstoßen hat! Der du kein Erbarmen mit der Not deines Gastgebers hattest! Für alle Zeiten hast du dein Lebensglück verscherzt!" "Sigune", bat er" "ich erkenne meine Verfehlung; ich glaubte, ritterliches Zuchtgebot zu befolgen, so wie Gurnemanz es mich gelehrt hatte, und nun bin ich so sehr schuldig geworden. So zeige mir doch, ich bitte dich, den Weg, wie ich büßen und bessern kann!" "Es ist zu spät", versetzte sie hart. "Auf Munsalwäsche schwand deine Ritterehre dahin. Fortan wirst du von mir kein Wort mehr hören."
So schied Parzival von ihr.

Parsifal irrt lange Zeit ziel-und planlos durch die Wälder.
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  Parsival vierter Teil