Ritter Manfred erzählt:
Vierter Teil
Aufbruch gegen den Feind des Landes und des Glaubens.

Die Hörner tönten, die Fahnen wehten dem Heere voraus gegen den Feind des Landes und des Glaubens. Im Wonnegau, den die Dordogne bewässert, wurde man des Feindes ansichtig. Karl selbst ritt auf die Späh, und als er die Lagerung der Mohren überschaut hatte, schritt er folgenden Tages zum Angriff von zwei Seiten. Der Kampf war entsetzlich; die Mohren stürmten an und flohen und kehrten auf ihren Rennern der Wüste im Fluge wieder und überschütteten die fränkischen Streiter mit Wolken von Geschossen. Aber Roland, Olivier, Ogier, selbst der Erzbischof Turpin und die anderen Paladine drangen mit ihren Mannen unaufhaltsaltsam vorwärts. Ihren Schwertern erlagen die Feinde in großer Zahl, und am Abend war ihre Niederlage entschieden. Ihre Flucht ging ohne Unterbrechung durch die Engpässe des Gebirges bis gen Pampeluna, wo ein neues Aufgebot aus Afrika sie aufnahm. Eigoland brannte vor Begierde, die Schmach zu rächen, und mit ihm die Söhne der Wüste, die voll Vertrauen auf ihre unermeßliche Menge und ihre Waffenübung den Kampf begehrten.

Ihre Flucht ging ohne Unterbrechung durch die Engpässe des Gebirges bis gen Pampeluna, wo ein neues Aufgebot aus Afrika sie aufnahm.

Der große Karl rückte mit seinem siegesfreudigen Heer heran, doch zögerte er, die Übermacht scheuend, mit dem Angriff. Er erwartete noch Mannschaften aus Frankenland und Hilfsvölker von Marsilio, der, obwol ein Heide, ehemals ihm Schutz gewährt hatte. Er schickte Boten an ihn ab allein bald erhielt er Kunde, der ungetreue König habe die abgesandten Männer ermorden lassen und sich mit dem Feinde vereinigt. Sobald Karl die üble Botschaft vernahm, ließ er seine Räte und Helden berufen, um ihre Meinung zu hören, ob man gegen die ungeheure Übermacht eine Schlacht wagen solle.

"Kein Verzug", rief der kühne Roland. Vor uns liegt der Sieg oder die Wonne des Paradieses, wer ist, der zurückweicht? - Die Helden alle stimmten ihm bei, und alsbald luden die Heerhörner zum blutigen Spiel. Wohl kämpft Eigoland mit unverzagtem Mut und ordnete seine zahllosen Streiter, um die Franken von allen Seiten zu umschließen; wohl stürmten diese kühn in den Streit. Sie können jedoch den todesmutigen Gläubigen nicht lange widerstehen: ihre Reihen werden durchbrochen, sie weichen, sie fliehen. Eigoland selbst fällt, von einem Speer durchbohrt, und mit lautem Feldgeschrei verfolgen die fränkischen Krieger den geschlagenen Feind. Da wirft sich ihnen ein grauenhafter Unhold entgegen, der Feracut, der über das Volk hervorragt wie ein Turm über das Häuser einer Stadt. Rosse und Reiter stülpt er um, als seien es Kegel, und die Gefallenen zermalmt er mit seiner Keule. Er trifft auf Roland. Auch ihn wirft er zu Boden; er will ihn wegen seiner glänzenden Rüstung als Spielding mitnehmen. Wie er sich aber bückt, faßt ihn der Held am Bart, reißt ihn nieder und durchbohrt ihn mit seinem guten Schwerte Durindart.

Der grauenhafte Unhold  Feracut im Kampf gegen Roland.

Die Feinde flohen nach allen Seiten, und da ihnen die Sieger rastlos nachagten, so wurden sie völlig aufgerieben. Wohin der große Kaiser kam, unterwarf sich alles Land. Nur das starke, fast uneinnehmbare Saragossa war noch unangetastet, und dahin hatte sich der ungetreue Marsilio zurückgezogen, da ihm sein Lehnsherr Baligant, der Kalif von Babylon, Hilfe zugesagt hatte. Kaiser Karl, der sich des früher genossenen Schutzes noch immer erinnerte, beschloß, nicht mit Strenge, sondern mit möglichster Schonung gegen ihn zu verfahren. Er meinte, nach dem großen Sieg werde der ungetreue Mann seine Boten glimpflicher behandeln als die früheren, und gab daher dem vielerfahrenen und verschlagenen Ganelon, einem seiner Paladine, den Auftrag, von dem König Unterwerfung und Annahme der Taufe zu fordern. Der weidliche Degen hätte gern abgelehnt, weil die Botschaft leicht den Kopf kosten konnte. Indessen war dem Befehl nicht zu widersprechen; er machte sich daher auf den Weg.

Marsilio empfing den Gesandten und sein Gefolge mit Ehren.

Marsilio empfing den Gesandten und sein Gefolge mit Ehren; er hörte den Antrag demütig an und bat nur um Bedenkzeit, um sich mit seinen Getreuen zu beraten. Nach reichlicher Bewirtung führte er Ganelon in seinen Gärten und Schlössern umher und zeigte ihm auch seine unermesslichen Schätze. Lüsterne Blicke warf der Bote auf die Vasen und gefüllt mit blanken Byzantinern, Zechinen und anderen Gold - und Silbermünzen, die reihenweise, gleich Kriegshaufen, in den Sälen aufgestellt waren. Auch köstliche Gewänder, blanke Rüstungen fanden sich da in Menge,  desgleichen Becher und Krüge von lauterem Golde. Er meinte, mit solchen Reichtümern könne man Heere und Helden gewinnen, sofern man sie weislich anwende. Dagegen sprach Marsilio, er wünsche nur ihn zu gewinnen, er scheine ein verständiger Mann, der das Gold zu schätzen wisse. Wende er von ihm die Rache Karls und die Untertänigkeit ab, so wolle er ihm drei mit Gold, drei mit Silber und drei mit Gewändern beladene Säumer zustellen. Ganelons Augen blitzten vor Begierde. Er versprach, was der Heide begehrte; ja, er versprach noch mehr für die doppelte Zahl von Säumern: Er wollte einen Teil des Frankenheeres anscheinend zur Bewachung des eroberten Landes, nach des Kaisers Heimkehr zurückhalten, so daß er den' Mohren in die Hände falle. Der teuflische Pakt wurde geschlossen und mit teuren Eiden besiegelt.

Marsilio, der das Blut seiner Edlen geringachtete, gab dem ungetreuen Mann eine große Zahl seiner Ritter als Geiseln mit, auf daß derselbe seinem verräterischen Werke Glauben fände. Deswegen kam kein Argwohn in die Seele Karls, als Ganelon von dem freundlichen Empfang in Saragossa von des Königs Reue und Unterwürfigkeit sprach. Er führte zum Zeugnis der Wahrheit die Geiseln vor, die edelsten Männer der mohrischen Ritterschaft, auch sechzig Säumer, die Speise - und Weinvorräte und den Jahreszins in blanker Münze ins Lager führten. Er riet jedoch mit gewinnender Rede, den unbezwinglichen Roland samt anderen Helden und einem auserlesenen Heerhaufen im Lande zurückzulassen, vor Abfall und äußeren Feinden gesichert zu sein. Was er vorbrachte, schien so klug und weislich, daß kein Argwohn dagegen aufkam. Roland und die übrigen Paladine außer Ganelon blieben an der Spitze von sechstausend auserwählten Kriegern zurück, während der Kaiser die Hauptmacht in kurzen Märschen, einen Tag um den anderen ruhend, durch Schluchten und Pässe des Hochgebirgs nach der Gascogne führte. Die Recken und das Volk unter Rolands Befehl ließen es sich wohl sein in dem schönen Lande; sie schmausten und tranken von den Vorräten die Marsilio gesandt hatte. Sie erfuhren aber schon am zweiten Tag durch ihre Späher, daß eine feindliche Macht gegen sie im Anzuge sei.

Anmarsch eines weit überlegenen Heeres.

Als die sichere Nachricht vom Anmarsch eines weit überlegenen Heeres kund wurde, beriefen Heerhörner die zerstreuten Krieger zu den Fahnen. Gen Ronceval war der Feldruf, und dahin führte Roland seinen Heerhaufen. Denn in diesem Engpaß zwischen zwei steilen Bergketten, wo Mann gegen Mann eng zusammengedrängt kämpfen mußte, hoffte er den Sieg zu gewinnen. Die Mohren, über zwanzigtausend Mann, begegneten den Franken, bevor sie den Ausgang erreichten.

"Stoße in dein Horn", riet Olivier.

"So hört es der Kaiser, der noch nicht fern ist, und kehrt um." Roland, betrachtete das mächtige Horn Olifant, das er an der Seite trug. Es war von Elfenbein, mit Goldreifen verziert und tönte, wenn mit Kraft geblasen, meilenweit. "Siehe, treuer Heergeselle", sprach der kühne Degen. "Dieses Gerät und mein wunderbares Schlachtschwert Durin, brachte voreinst ein leuchtender Engel vom Himmel. Damals gelobte ich, nur in höchster Not mit dem Hornruf Hilfe zu fordern. Ist denn solche Not über uns gekommen? Ich glaube, wir sind stark genug, diese heidnischen Wichte in den Staub zu strecken. Da sehe ich die Banner des feigen Verräters Marsilio! Kein Zweifel - der ungetreue Ganelon ist an uns um schnödes Gold zum Judas geworden."

Die Helden und ihre Mannen stürmten sofort gegen die Haufen der Mohren, die mit großem Mut den Franken Widerstand leisteten. Indessen bestanden sie nicht vor den langen und wuchtigen Schwertern der Helden. Nach einem furchtbaren Gemetzel wandten sie den Rücken und wurden verfolgt, gejagt und niedergestreckt gleich dem scheuen Wild des Forstes, so daß nur wenige dem Blutbade entrannen.

Als die zerstreuten Christenleute von der wilden Jagd zurückkehrten und anfingen, sich zu sammeln, ertönte hinter ihnen der Ruf: "Machmet! Machmet!" ein weitaus größeres Heer war den Christen in den Rücken gefallen. Marsilio selbst führte es an. Er hatte gehofft, während der kleinere Heeresteil den einen Eingang in das Tal verschließe, mit dem größeren, durch den anderen Zugang vorstürmend, den verhaßten Feind gänzlich zu vernichten. Indessen war er auch noch jetzt stark genug zum Kampfe gegen die überraschten, streitmüden Christenleute.