Oft hat man Schloss Schönbrunn als das Versailles des Österreichischen Kaiserreichs bezeichnet. Doch die Habsburger unterschieden sich in vielen Punkten von den Königen Frankreichs und wollten ihren Untertanen sicher nie als Götter erscheinen. Schönbrunn hatte eine Doppelfunktion: Es war sowohl repräsentatives Königsschloss als auch Sommerresidenz für die vielköpfigen Familien der österreichischen Herrscher. Im Schloss und seinem riesigen Park spiegelte sich über zwei Jahrhunderte der Geist einer der großen europäischen Dynastien wider. Zwei Eigenschaften ziehen sich wie ein roter Faden durch alle Generationen: Reflexion und Sparsamkeit. So steht der Prunk Schönbrunns auch vielmehr mit der Stellung und der Macht der Habsburger als mit ihrem persönlichen Lebensstil in Beziehung. Das Schloss bildete den Rahmen für eine Geschichte, die von der aufgeklärten Herrschaft Maria Theresias und ihres Sohns Joseph II. bis zum Niedergang des Imperiums unter Franz Joseph I. und seiner Frau Elisabeth (Sisi) reichte. Schönbrunn stand auch nach dem Erbfolgekrieg lange Zeit für eine glückliche und große Vergangenheit.

Die Architektur der Schlossanlage insgesamt ist hingegen kein Symbol für Überheblichkeit und Prunksucht. Der für offizielle Anlässe genutzte Mittelbau des Schlosses passt sich eher bescheiden zwischen die beiden Seitenflügel ein. Den einen bewohnten Maria Theresia und ihre Söhne, den anderen gut hundert Jahre später Franz Joseph I. und Elisabeth.

Mit dem Bau des Schlosses begann man Ende des 17. Jahrhunderts, doch reicht seine Geschichte weiter zurück. Der Legende nach soll Kaiser Matthias 1557-1619) eines Tags bei der Rückkehr von der Jagd in der Nähe seines Landsitzes Katterburg auf eine Quelle mit kristallklarem Wasser gestoßen sein, die er "schöner Brunnen" nannte. Das Anwesen selbst hatte sein Vater Kaiser Maximilian II. 1569 ebenfalls durch Zufall entdeckt. Er war so begeistert davon, dass er es kaufte.

Die alte Residenz wurde zweimal zerstört, das erste Mal von den Ungarn im Jahr 1605, das zweite Mal 1683 im Zuge der Invasion der Türken. Als diese zurückgeschlagen waren, entschied Leopold I., den Sommersitz der Habsburger an diesem Ort errichten zu lassen. Er beauftragte den angesehensten österreichischen Architekten seiner Zeit, Johann Bernhard Fischer von Erlach mit dem Entwurf des Schlosses. Von Erlach, der mehrere Jahre in Rom und Neapel gearbeitet hatte, versuchte, klassizistische Elemente mit der Architektur des Barock im Stile Berninis zu verbinden. Doch als er 1690 dem Kaiser seine Pläne vorlegte, in denen Schönbrunn wie ein Habsburger Versailles aussah, lehnte dieser sie ab.

Ab 1696 begann man schließlich mit den Arbeiten aufgrund eines neuen Entwurfs von Erlachs, der unter Kaiser Joseph I. 1678-1711) zur Vollendung kam. Während Jean Trehet in den Jahren 1705/1706 den französischen Garten anlegte, wurden der Mittelbau und der Ehrenhof vollendet. Nach dem Tod Josephs I. gerieten die Arbeiten jedoch ins Stocken. Mit Maria Theresia 1717-1780), der Erzherzogin von Österreich und Königin von Ungarn und Böhmen, begann das goldene Zeitalter Schönbrunns, das erst mit dem Niedergang des Habsburgerreichs enden sollte. Der von der Kaiserin beauftragte Hofarchitekt Nikolaus Franz Leonhard Freiherr von Pacassi baute das Schloss von 1744 bis 1749 um. Er lockerte den Barockstil des Interieurs durch Elemente des Rokoko auf. In der Großen und der Kleinen Galerie konnten nun Empfänge gegeben werden; auf Maria Theresias Wunsch ergänzte man das Schloss um ein Theater. Auch der Park wurde so fertig gestellt, wie er heute noch zu besichtigen ist. Schönbrunn war ein Ort, an dem Geschichte gemacht wurde - wenn auch vielleicht weniger die, an die man gemeinhin denkt: Staatsangelegenheiten und Fragen der Diplomatie entschieden sich weiterhin hauptsächlich in der Hofburg, dem Kaiserpalast im Zentrum Wiens. In der Sommerresidenz spielte sich dagegen das Familienleben der Herrscherfamilie ab. Hier fanden große Festlichkeiten und üppige Bankette statt.

Maria Theresia zog ihre 16 Kinder in Schönbrunn auf. Auch Maria Theresias 15. Kind Marie Antoinette, die spätere Frau Ludwigs XVI., verbrachte hier ihre Kindheit. Jahrzehnte später, zwischen der Schlacht von Austerlitz (1805) und der von Wagram (1809) schlug Napoleon I. sein Hauptquartier in Schönbrunn auf. Mit der Heirat Marie Louises von Österreich im Jahr 1810 wurde der Korse Mitglied der Familie.

Die Niederlagen der französischen Armee 1813 bei Leipzig und 1815 bei Waterloo rückten Wien ins Zentrum der europäischen Politik. In der Hauptstadt der Habsburger fand der Kongress statt, bei dem ein neues Machtgleichgewicht in Europa geschaffen werden sollte. Schönbrunn bot für die Bälle und Bankette, die den Gipfel begleiteten, den passenden Rahmen. Die Verhandlungen leitete Klemens Wenzel Fürst von Metternich (1773-1859), der eine zentrale Rolle in der Politik des ersten Drittels des 19. Jahrhunderts spielte. Er prägte auch in hohem Maß das gesellschaftliche Leben. Am 18. August 1830 kam Franz Joseph in Schloss Schönbrunn zur Welt. Er wurde 1848 Kaiser von Österreich und war ab 1867 König von Ungarn. Eine seiner ersten Amtshandlungen war die Niederschlagung der Revolution von 1848.

Die Zeit des Absolutismus war Mitte des 19. Jahrhunderts abgelaufen, und Schönbrunn entwickelte sich für Franz Joseph I. mehr und mehr zu einem goldenen Käfig. Seine Frau Elisabeth, die das höfische Zeremoniell verabscheute und sich im Schloss gefangen fühlte, litt unter dieser Atmosphäre noch mehr. Nur im Park, in dem sie lange Spaziergänge machte, fühlte sie sich wohl.

Die gewaltsamen Todesfälle mehrerer Mitglieder der königlichen Familie - die Hinrichtung des kaiserlichen Bruders Maximilian Ferdinand Josephs 1867 in Mexiko, der Selbstmord des Thronfolgers Rudolf 1889, die Ermordung Sisis 1898 und schließlich das Attentat von Sarajewo auf den Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau 1914 -legten sich wie dunkle Wolken über die Regierungszeit Franz Josephs I., der im Jahr 1916 starb. Nur zwei Jahre später unterzeichnete der letzte österreichische Kaiser Karl I. im Blauen Salon von Schönbrunn die Verzichtserklärung auf den Thron. Damit war die Geschichte der Habsburger beendet. Jetzt konnte die Zeit der Legenden beginnen, die in Wien mit Stolz und Nostalgie am Leben gehalten werden.

Von den 1441 Räumen des Schlosses können 40 im ersten Obergeschoss besichtigt werden. Vermutlich kommen die meisten Besucher heute nicht in erster Linie der politischen Geschichte wegen nach Schönbrunn, sondern weil sie sich für die persönlichen Geschichten und Anekdoten interessieren, die sich in seinen Mauern abspielten. Niemand prägte Schönbrunn stärker als Maria Theresia, deren Persönlichkeit jedem Besucher noch heute in jedem Winkeln des Gebäudes zu begegnen scheint. Sie war zweifellos die Herrscherin, die Schönbrunn am meisten liebte und deren Geschmack die Gestaltung des Schlosses am nachhaltigsten bestimmte. Dieser Eindruck wird bereits deutlich, bevor man das Schloss betritt:

Die Kaiserin wählte den ockerfarbenen Ton, der ursprünglich rosafarbenen Fassade aus, den man nach ihr Maria-Theresia-Gelb oder Schönbrunngelb nennt. Die weitsichtige Herrscherin war eine hingebungsvolle Mutter, die es nicht störte, wenn ihre Kinder und Enkelkinder spielend durch die Große und Kleine Galerie mit ihren goldverzierten Stuckarbeiten und Deckenfresken rannten, in denen man sonst festliche Bankette veranstaltete. Mit großem Vergnügen gab sich Maria Theresia so alltäglichen Dingen wie der Handarbeit hin. Die 24 gestickten Blumenbilder im Frühstücksraum stammen von der Kaiserin und ihren Töchtern. Maria Theresia war nicht nur in politischen, sondern auch in kulturellen Dingen eine aufgeklärte Regentin. Sie liebte Musik und das Theater.

Im Spiegelsaal, in dem sonst neu ernannte Minister der Kaiserin den Treueschwur leisteten, fanden regelmäßig Konzerte statt. Der sechsjährige Wolfgang Amadeus Mozart spielte hier 1762 vor und sprang dann der Legende zufolge plötzlich der Kaiserin in die Arme, um sie herzlich zu küssen. Maria Theresia ließ auch das Theater bauen, das mit einem großen Bankett eingeweiht wurde. Als junge Frau betrat sie selbst gerne die Bühne, um dort zu singen oder Texte zu rezitieren. Im Theater präsentierten Gluck, Haydn und Mozart ihre Werke; ab und zu hielt die Kaiserin ihre Kinder an, kleine eigene Stücke aufzuführen. Glücklich war Maria Theresia auch in der Beziehung zu ihrem Gatten Franz Stephan Herzog von Lothringen, der ihre Liebe zur Schlossanlage von Schönbrunn teilte. Der zurückhaltende Monarch, der öffentliche Auftritte hasste, widmete sich mit Hingabe dem riesigen Park. Er war es auch, der die Grundlage für den Tiergarten, den ersten seiner Art, schuf. Oft nahm das Kaiserpaar im von Nicolas de ]adot 1752 erbauten achteckigen Pavillon der Menagerie sein Frühstück ein, während es die Tiere betrachtete. Franz I. interessierte sich sehr für Naturwissenschaften. Er finanzierte Expeditionen in exotische Länder, um neue Pflanzen für seinen botanischen Garten zu erwerben. Dieser und andere Teile des Parks wurden 1779 von seinem Sohn Joseph II. der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

1882 liess Kaiser Franz Joseph I. nach dem Vorbild der Kew Gardens in London das Palmenhaus erbauen, das zusammen mit dem umliegenden Park ein harmonisches Ensemble bildet. Bei der Gestaltung des Parks ergänzen sich unter Einhaltung der zeitgenössischen Regeln der französischen Gartenkunst barocke und frühromantische Stilelemente auf faszinierende Weise: Die Suche nach idealer Gestaltung und formaler Perfektion als Zeichen der Herrschaft des Menschen über die Natur begegnet so verspielten Elementen wie künstlichen Höhlen, falschen Ruinen und Irrgärten, die den Park in einen Ort der Illusion verwandeln. Bilden beim Schloss die Säle für offizielle Anlässe den räumlichen Mittelpunkt, so sind es bei den Gärten die geometrisch perfekten Zierbeete. Ihre Anlage zieht den Blick des Betrachters zum höchsten Punkt des Parks empor: Von der frühklassizistischen Gloriette, einem 1775 von Johann Ferdinand Hetzendorf von Hohenberg errichteten Kolonnadenbau bietet sich ein herrlicher Blick über Wien.

Zwischen der Gestaltung der Innenräume des Schlosses und der Parkanlage bestehen viele Parallelen. So wie der Blick draußen von der strengen Geometrie der barocken baumgesäumten Wege zu den zahlreichen mythologischen Figuren und zum fernen Wald abschweift, so verweilt auch im Inneren das Auge häufiger bei Details als beim Betrachten der offiziellen Porträts der Habsburger oder der Prunkmöbel. Ein typisches Beispiel hierfür ist das Millionenzimmer, das einen von Maria Theresia selbst erdachten, scherzhaft gemeinten Namen trägt, denn die Ausstattung verschlang eine Million Gulden. Am teuersten waren das Rosenholz für das Parkett, das von den Antillen importiert werden musste, und die 60 Medaillons, die wunderschöne Miniaturen aus Istanbul enthalten.

Das Napoleonzimmer nutzte Maria Theresia als Schlafzimmer, nachdem ihr Mann gestorben war. Die im 18. Jahrhundert berühmten belgischen Wandteppiche mit Szenen aus dem Soldatenleben gefielen dem französischen Kaiser mit Sicherheit. Relikte des mehrjährigen Aufenthalts von Napoleon I. in Wien sind die beiden Adler, die die Obelisken am Eingang der Anlage dominieren. Im Gedenkraum für Napoleons Sohn, der bis zu seinem frühen Tod in Schönbrunn weilte, finden sich ein Porträt, das den Jungen im Alter von fünf Jahren zeigt, seine Totenmaske und eine ausgestopfte Haubenlerche, die der einzige Freund des unglücklichen "Königs von Rom" gewesen sein soll.

Maria Theresia, die viel Zeit in Schönbrunn verbrachte, vernachlässigte auch dort niemals die Staatsgeschäfte, denen sie im Chinesischen Rundkabinett nachging. Lacktafeln und feinstes Porzellan schmücken hier die Wände. Eine geheime Treppe verbindet das Zimmer mit den darüber liegenden Gemächern ihres Staatskanzlers und Ratgebers Wenzel Anton Graf von Kaunitz (1711-1794). Die Gemächer von Franz Joseph I. und die seiner Frau Elisabeth befanden sich in dem gegenüberliegenden Flügel.

Wie sehr sich die beiden Herrscher in Charakter und Lebensart unterschieden, spiegelt sich auch in der Einrichtung ihrer Räumlichkeiten wider: Verglichen mit den Wandbehängen im Gobelinzimmer, den fernöstlichen Lacktafeln im Vieux-Lacque-Zimmer, dem Porzellan und dem Kristall in den Staatsräumen sowie in anderen Gemächern der Kaiserin wirkt die Schlichtheit der Räume, die der vorletzte Habsburger bewohnte beinahe asketisch. In Maria Theresias Studierzimmer befinden sich 213 Tintenzeichnungen, die sie mit ihrem Gatten und ihren Kindern angefertigt hatte. Das Kabinett Franz Josephs I. war dagegen funktional und bescheiden eingerichtet. Nur wenige Möbelstücke standen in dem überwiegend dunkel getönten Raum. Franz Josephs berühmtes Feldbett befindet sich in dem ebenfalls braun gehaltenen Schlafzimmer. Dem höfischen Protokoll nach standen dem Kaiserpaar je fünf Räume zu. Sofort nach der Hochzeit änderte jedoch Sisis Schwiegermutter Erzherzogin Sophie die Aufteilung. Elisabeth und Franz richteten ihre Zimmer sehr zurückhaltend ein. So ist das Schlafzimmer Sissis in Grau gehalten, von dem sich die rötlichen Möbel abheben. Doch diese Bescheidenheit war weniger eine Frage des Geschmacks - strengstes Pflichtbewusstsein bestimmte alle Entscheidungen des Kaisers.

Schloss Laxenburg bei Wien
Der Lieblingsaufenthalsort von Sissi, die Hermesvilla
Die Hermesvilla von hinten

Dieses Pflichtbewusstsein gründete in seiner Überzeugung, er müsse sich gegenüber seinem Volk als Vorbild verhalten, dem es nicht besser gehen durfte als seinen Untertanen. Elisabeths Motive waren anderer Natur: Sie verbrachte so wenig Zeit wie möglich in Schönbrunn, in dem sie ständig ihrer verhassten Schwiegermutter begegnete und dem strengen Zeremoniell des Hofs unterworfen war. Sie hielt sich lieber in Schloss Laxenburg oder in der Hermesvilla auf,(Bilder oben) ein ehemaliges Jagdhaus, das Franz Joseph I. 1884 für sie hatte umbauen lassen. Noch mehr liebte sie es zu reisen. Sie verbrachte viel Zeit in der Villa Achilleion auf Korfu, wohin sie auch den prächtigen Sekretär im Stil Louis-quatorze bringen ließ, der einst Marie Antoinette gehört hatte. Spätestens im Kinderzimmer, dessen Wandbehänge Porträts der Kinder Maria Theresias schmücken, fällt jedem Besucher auf, dass es in Schönbrunn keine Bilder von Elisabeth, Sophia, Gisella, Rudolf und Maria Valerie gibt, ein Beleg mehr dafür, wie ungern Sissi in Schönbrunn lebte. Die Epoche der Habsburger ging unaufhaltsam ihrem Ende entgegen.

Während Franz Joseph I. mit dem Ring im Zentrum Wiens eine letzte markante Spur hinterließ, war aus dem einstigen Glanz Schönbrunns ein schwaches Glimmen geworden. Ein letztes Mal erstrahlte das Wien der Habsburger anlässlich der Krönung Karls I. im Jahr 1916 in alter Pracht. Noch einmal spannte man bei dieser Gelegenheit die von Schülern Rubens' gefertigte vergoldete Kutsche an, in der bereits verschiedene Kaiser gefahren waren. Die Kutsche kann man heute in der Wagenburg in Schönbrunn bewundern. Sie ist Zeugin einer Zeit, die manche als die glücklichste Österreichs (Felix Austria) bezeichnen. Die Herrschaft Karls I. dauerte nur noch zwei Jahre, dann war die Ära der Habsburger beendet.

Mit dem Fiaker fuhren wir dann gemütlich in unser Hotel in der Stadtmitte zurück. Unser Kutscher wollte nicht fotografiert werden - aus welchem Grund auch immer. Oder er wollte uns alleine vor seinem Gespann fotografiert sehen. Nach einer entspannenden und erholsamen Nacht wollten wir eigentlich noch ins Zentrum Wiens, doch überlegten wir es uns anders und fuhren mit der Bahn nach Budapest.

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